Reinhard Stähling gehört zum Beirat der Zeitschrift
herausgegeben von der GGG – Gemeinnützige Geseelschaft Gesamtschule, Verband für Schulen des gemeinsamen Lernens
Gemeinsam lernen bis zum Schulabschluss:
Modellschule Berg Fidel – Geist geht 2014 an den Start
Geleitwort zur Schule Berg Fidel 1–13, im März 2012
Praxiskongress „Berg Fidel von 1–13:
Die internationale Schule für alle im Wohngebiet“
Download Programm
Einige Literaturvorschläge zum Praxiskongress
Seiten, die total spannende Sachen über Schule erzählen – von jungen Leuten im Netz selbst gemacht:
funkenflug.de
Großartige Inititiativen von Studenten, die ihre eigenen Visionen in
die Hand nehmen und selbst ihr Studium zum Lehrer machen – frei von
Uni:
kreidestaub.net
www.facebook.com/kreidestaub
Der neue Fillm von Hella Wenders
Schule, Schule – Die Zeit nach Berg Fidel
hatte im September 2017 Premiere in Münster
Filmkritik von Kerstin Herrnkind im Stern
Am 13.09.2012 war die Premiere in Münster!
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Friedemann Schuchardt,
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70597 Stuttgart
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Irmtraud Schnell
In dem wunderbaren Film über die Grundschule Berg Fidel lernen die Zuschauer/innen Anita kennen.
Als man ihr in der so genannten Förderschule mit Hilfe einer Modelleisenbahn,
die ihr vorgeführt wird, den neuen Ort schmackhaft machen will, wird aus diesem resoluten, vitalen Mädchen,
das am liebsten Model werden möchte, ein beschämtes Kind, das nicht glauben mag, was geschieht,
denn in seiner Empfindung gilt die Versetzung an die Sonderschule ganz offensichtlich als Abstieg.
Und an anderer Stelle sagt sie, dass sie – „Das Scheiße“ findet und was eigentlich richtig wäre,
nämlich, dass sie mit ihren Freundinnen weiter zusammen bleiben und lernen möchte.
Wenn ich in Seminaren bei der Auseinandersetzung nach den eigenen Erfahrungen mit dem selektiven Schulsystem frage,
gibt es immer wieder Studierende, die den Verlust von Freund/inn/en nach der Grundschulzeit beklagen – eine Studentin
erzählte, sie habe mit Absicht schlechtere Noten geschrieben, damit sie, anstatt dem Wunsch ihrer Eltern entsprechend
auf das Gymnasium, mit ihrer Freundin zusammen auf die Realschule gehen kann. Deutlich wird auch, dass nur sehr wenige
Studierende persönliche Freundschaften mit Menschen pflegen, die einen Hauptschulabschluss oder einen Sonderschulabschluss haben –
das System der Verteilung auf verschiedene Lebenslaufbahnen und mit ihr die Reproduktion der gesellschaftlichen Segmente greift nachhaltig
(vgl. Münch 2009); allerdings mit dem Unterschied, dass nicht allen Segmenten die gleiche Aufmerksamkeit, und das heißt auch Ressourcen,
gewidmet werden. Und mit dem Unterschied, dass die Erwartungen an die Verschiedenen die gleichen sind, nämlich an Normen orientiert,
die den Kindern aus mittel- und oberschichtlichen Milieus den Schulerfolg sichern.
Zurück zu Anita. Kinder wie sie gaben den Anstoß dazu,
dass die Schule Berg Fidel aus der Grundschule zu einer Schule von 1–13 werden wollte. Anita hätte einfach davon mehr gebraucht,
was die Strukturen und Personen an der Grundschule Berg Fidel zu bieten haben, um ihre Lebenstüchtigkeit als Ressource weiterentwickeln
und aus der Anerkennung ihrer besonderen Ressourcen zusätzliche Bildungsprozesse vollziehen zu können. Respekt vor den Möglichkeiten
von Kindern gebietet ein anderes Schulsystem. Die Stadtteilschule 1–13 kann Kindern den Bruch in ihrer Lernentwicklung ersparen,
den ein Wechsel der Lern- und Schulkultur darstellt, und führt sie so zu ihren jeweils möglichen Erfolgen. Übergänge gelten insgesamt
als risikoreiche Phasen im Leben eines jeden Menschen. Es mag Kinder geben, für die der Übergang von der Grundschule zur Schule der
Sekundarstufe keine spezielle Herausforderung darstellt; für viele Kinder, nicht nur für die von Berg Fidel, gleichwohl. Der Verlust
der haltenden Strukturen, der Verlust der Mitschüler/innen, der Verlust der Anerkennung, die jetzt neu gewonnen werden muss, all das
stellt eine unnötige Hürde im Leben von Kindern dar. Der frühe Zeitpunkt der Entscheidung über Schul- und damit Lebenslaufbahnen belastet
jedes einzelne Kind, hat aber auch gesamtgesellschaftliche Wirkungen insofern, als die Mitglieder unterschiedlicher Milieus zu früh
voneinander geschieden werden – mit dem Ergebnis zunehmender Fremdheit zwischen Bevölkerungsgruppen und abnehmender Solidarität in der
Gesellschaft (vgl. Heitmyer 2012).
Nun hat das Land Nordrhein-Westfalen Schulen mit einem besonderen Konzept den Ausbau von 1–10 ermöglicht. Fünf Schulen in NRW sind
jetzt PRIMUS-Schulen, eine davon die Grundschule Berg Fidel. Die Kommune Münster nahm das Angebot des Landes wahr – keineswegs umstandslos,
wie Sie in weiteren Beiträgen lesen können. Möglich wird damit der Ausbau eines inklusiven und damit friedensfähigen Sozialraums.
Ich will zunächst noch einmal in der gebotenen Kürze auf das Konzept der Grundschule Berg Fidel eingehen, wie ich es aus den Schriften
Barbara Wenders und Reinhard Stählings (zuletzt Stähling/Wenders 2012) und über Jahre bei meinen jeweils mehrtägigen Besuchen in der Schule
kennen gelernt habe, mit Studierenden der Universität Frankfurt im Rahmen des Pflichtseminars – „Inklusive Schulentwicklung“.
Das pädagogisch-sozialpädagogische inklusive Gesamtkonzept Grundschule Berg Fidel wird in seiner Wirkung auf die Kinder von Studierenden aus Frankfurt folgendermaßen gekennzeichnet:
Wie sind diese Lernatmosphäre und dieses Miteinander herzustellen?
Die Grundschule Berg Fidel
Das pädagogische Konzept der Grundschule Berg Fidel zeichnet sich vor allem aus durch
Oder, wie der Schulleiter als – „offene Geheimnisse“ selbst benennt:
Wie in allen Schulen, die die Unterschiedlichkeit ihrer Schüler/innen in Persönlichkeit und Lernstil ernst nehmen und ein Eintauchen in die Lerngegenstände ermöglichen wollen, gliedert sich der Schultag nicht in 45-Minuten, sondern in 90-Minuten-Einheiten. Gemeinsam ist der Arbeit in den Klassen
Zwei Aspekte, die die Grundschule von den meisten anderen unterscheidet und die auch die PRIMUS-Schule von anderen Schulen unterscheidet, greife ich heraus, wohl wissend, dass das – „Gesamtkunstwerk“ damit nicht ausreichend gewürdigt wird:
A) Das altersgemischte Lernen
B) Die verlässlichen Erwachsenen
Das altersgemischte Lernen
Das altersgemischte Lernen in seiner Bedeutung für kognitive und emotional-soziale Entwicklungen wird noch viel zu wenig wertgeschätzt und noch weniger umgesetzt. Die geänderte Organisationsform allein führt aber nicht zu anderen Bildungsprozessen – das gilt für alle schulstrukturellen Maßnahmen. Es stelle sich die Frage, ob tatsächlich realisiert werde, dass Kinder von Kindern lernen und nicht wieder homogene Gruppen geschaffen werden, so Diehm und Scholz (2010). Die Autoren sprechen in ihrem Beitrag – „Vom Lernen der Kinder“ von drei Kulturen mit denen es Kinder zu tun haben: Der Schulkultur, der Kinderkultur und dem in der Integration beider entstehenden gemeinsamen Produkt Klassenkultur. Der Begriff Kultur fasst am ehesten, wodurch sich die Schule Berg Fidel auszeichnet: Die Altersmischung ergibt ein Geflecht von Beziehungen zwischen den Kindern, auch bei den Inhalten des Lernens, das auf dem Hintergrund der Stützung durch Regeln, mit Hilfe vereinbarter Abläufe und in der Auseinandersetzung mit den zugewandten und eindeutigen Erwachsenen einen eigenen Lebensraum erschafft, der weiter gegeben wird. Beziehungen seien ein konstitutives Element der Kinderkultur, so Diehm und Scholz. Diesem Geflecht von Beziehungen wohnt offenbar auch ein Moment der Entschleunigung inne, das sich in der Ruhe beim Arbeiten zeigt. Das uneingeschränkte Bildungsangebot für alle Kinder ist das andere Element der pädagogischen Kultur in Berg Fidel, das auch von allen ergriffen wird – in dem ihnen je möglichen Zugang. Kinder erarbeiten selbständig verschiedene Projektthemen: An einem Tag im – „Freien-Forscher-Club“ bei den – „Sonnenblumen” hören wir einen gut gegliederten Vortrag zum Thema – „Schulen in Münster“, außerdem wurde z.B. an den Themen – „Edelsteine“, – „Schwarze Löcher“, – „Pferde“, – „das alte Ägypten““ gearbeitet; für die folgende Woche war ein Vortrag in der Aula angekündigt, zu dem zwei Jungen der Klasse alle Kinder einluden, zur Frage: „wird es in Zukunft fliegende Autos geben?“ Im Einzelnen ergeben sich durch das altersgemischte Lernen folgende Chancen:
Im Lernklassenrat wirkt sich die Altersmischung als eine Art Lerncoaching der ganzen Kindergruppe aus, wenn die Kinder immer genauer aussprechen lernen, was sie gearbeitet haben in der freien Zeit und was sie dabei wirklich gelernt haben. Oder wenn sie ihre Lerngeschichte reflektieren und alle sehr aufmerksam zuhören. So z.B. beim Lernklassenrat übers Üben. Nachdem die verschiedenen Stufen an der Tafel erarbeitet sind, die abgearbeitet werden müssen, bis das Üben endlich Spaß macht, wird ein Junge gefragt, wie das denn bei ihm gewesen sei, er habe doch auch eine lange Zeit keine Lust gehabt zu üben. „Ja“, antwortet er, das sei wahr, aber dann sei er in die dritte Klasse gekommen und da habe er sich gesagt: – „So kann das mit mir nicht weiter gehen“.
Die Altersmischung bringe Kinder mit unterschiedlichen Konzepten zusammen, so Diehm und Scholz. – „Die Unterschiede liegen aber – im Unterschied zu den Konzepten von Erwachsenen – in der sog. Zone der nächsten Entwicklung (vgl. Wygotski 1971). Die Konzepte älterer Kinder sind näher an denen der jüngeren Kinder. An ihnen kann sich ein Kind abarbeiten. Einem Erwachsenen kann es nur glauben oder nicht“ (Diehm/Scholz 2010,52).
Das andere wichtige Prinzip ist das feste Team, das die Kinder über die ganze Grundschulzeit begleitet.
Die verlässlichen Erwachsenen
Damit Kinder in der Schule einen Ort finden, der ihnen verlässlichen Halt gibt, bedarf es der Kontinuität von Teams, die sich durch vielfältige Kompetenzen auszeichnen und die Kinder über Jahre hinweg begleiten und Orientierung bieten. Ganz konkret heißt das u.a., dass die Sonderpädagog/inn/en an der Schule verortet sein müssen und nicht stundenweise einfliegen. Verlässliche Teams sind sowohl für die Schüler/innen als auch für die Lehrkräfte eine unabdingbare Voraussetzung. In Berg Fidel hat man sich dazu entschlossen, sonderpädagogische Kompetenz in allen Klassen vorzuhalten und nicht einzelnen – „schwierigen“ oder – „behinderten“ Kindern zuzuordnen.
Die Lehrkräfte in Berg Fidel betrachten sozialpädagogische Aspekte als zu ihrer Arbeit gehörend – in einer Schule mit hohem Bedarf unerlässlich. Zum Professionsverständnis der Lehrkräfte in einer inklusiven Schule gehören nicht nur didaktisch-methodische und fachdidaktische, sondern auch sonderpädagogische und sozialpädagogische Kompetenzen, weil Kinder nicht in sich aufzuteilen sind, sondern als in der jeweiligen Ausprägung vorfindlichen Bedürftigkeit und Kompetenz wahrgenommen werden müssen.
Die genannten Elemente der pädagogischen Arbeit in der Grundschule Berg Fidel (Altersmischung, multiprofessionelle Teams, Offener Unterricht, Demokratische Strukturen, umfassendes Bildungsangebot, Gebundene Ganztagsschule) werden nun weitergeführt in die Sekundarstufe hinein. Die Kollegien der Schule Berg Fidel und der Geistschule hatten schon geraume Zeit zusammen beraten und ein Konzept für eine inklusive Gemeinschaftsschule an ihrem Standort entwickelt. Eine günstige Voraussetzung war, dass die Geistschule schon öfter Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf aus Berg Fidel aufgenommen hatte. Die Kolleg/inn/en der Geistschule haben überdies Erfahrung im Umgang mit Neuankömmlingen anderer Muttersprachen, deren Integration in alle Schulformen in Münster sie vorbereiten. Umgekehrt erhalten die Kinder der Grundschule Berg Fidel, die besonderer Förderung bedürfen, jetzt einen verlässlichen Übergang in die Sekundarstufe I, ohne einen Kulturbruch erleben zu müssen, der sie in ihrer Entwicklung zurück würfe. Diese Anforderung erfüllt das Konzept der Pilotschule Berg Fidel 1–(10) 13.
Stufen von Erziehung und Bildung in Berg Fidel1
Kindertagesstätten in Berg Fidel
in altersgemischten Gruppen der Altersstufen 4 Monate bis 3 Jahre und der Altersstufe 3 bis 6 Jahre
Grundstufe in Berg Fidel
in altersgemischten Klassen der Jahrgänge 1 bis 3
Eingangsstufe
in altersgemischten Klassen der Jahrgänge 4 bis 6
Stufe der vielen Lernorte
in altersgemischten Klassen der Jahrgänge 7 bis 9
Schulabschlussstufe (Zukunftsplanung)
in altersgemischten Klassen der Jahrgänge 10 bis 13
Alle Abschlüsse bis einschließlich Abitur sollen möglich werden.
Ein besonderer Ausbildungsschwerpunkt der PRIMUS-Schule wird folgender sein: Vorbereitung auf pädagogische Berufe (Erzieherin, Heilpädagogin, Sozialpädagogin, Sozialarbeiterin, Lehrerin, Psychologin u. a.) Einer der Schüler,dessen Entwicklung über Jahre ich staunend wahrnahm, wäre, weil er Gelegenheit bekam,seine eigene Entwicklung zu verstehen – von der Unrast und der Sprachlosigkeit, die mit Fäusten ausgeglichen werden mussten, bis zum freundlich kommunizierenden und konzentriert arbeitenden Schüler – könnte z.B. als Erzieher die schon während der Schulzeit entwickelten Fähigkeiten zur Begleitung jüngerer schwieriger Kinder wiederum in der Schule einbringen.
Tagesablauf in der Sekundarstufe
8–9.30 Uhr
in der Klasse
Freies Arbeiten
Individuelle Arbeit in den Kernbereichen: Mathe, Deutsch, Englisch bzw. einer zweiten Fremdsprache. Trainieren, erarbeiten, vertiefen unter individueller Anleitung
10–11.30 Uhr
Abwechselnd Projekt-Kurs-Projekt-Kurs
Projekte über ca. 6 Wochen in der Klasse
Kurse, über ca. 2 Wochen, klassenübergreifend
In gelenkter Form in festen Gruppen: Themen: Methoden für Projektarbeit,
English Conversation, Physik, Geschichte, Erweiterung der Grundlagen
12–13 Uhr
Werkstatt
Jg. 1–4 in der Klasse
Jg. 5–10 (13) klassenübergreifend
Eigene Fähigkeiten und Interessen kennen lernen und vertiefen in denangebotenen Bereichen:
(mindestens eine Werkstatt aus jedem Bereich)
Auch Schülerfirmen
13.00–14.00 Uhr
Mittag und Essen in der Klasse
14.00–15.30 Uhr
Werkstatt
Jg. 5–10 (13) klassenübergreifend
Wechselnd je Halbjahr,
2 Werkstätten pro Woche
Eigene Fähigkeiten und Interessen kennen lernen und vertiefen in den
angebotenen Bereichen:
(mindestens eine Werkstatt aus jedem Bereich)
Auch Schülerfirmen
Ab 15.30 Uhr (in Planung)
Freiwillige Angebote, Ateliers
Besonderen Neigungen nachgehen, Hobbys pflegen:
In Kooperation mit örtlichen Sportvereinen, Musik- und Kunstschulen, Zirkuskünstlern, Werkstätten, Theater- und Musikgruppen, Werkstätten, Medienexperten, Stadtteilzentrum,
Beratungsstellen, Arbeitsagenturen, Migranten-Vereinen u. v. a.
Abends (in Planung)
Kultur- und Fortbildungsangebote
besonders für ältere Jugendliche und Erwachsene
Theater- und Musikauftritte, Lesungen, Vorträge und Diskussionsabende,
Ausstellungen, Freizeittreff.
Gestaltung des Unterrichts in der Altersstufe der Adoleszens
Verschiedene Entwicklungsphasen junger Menschen finden in der geplanten Schule Berücksichtigung; nicht in jeder Phase gelingt es Mädchen und Jungen, ihre kognitive Entwicklung als Zentrum ihres Heranwachsens zu sehen; in vielen Schulen wird das beklagt, ohne daraus Konsequenzen zu ziehen. Die Pilotschule gestaltet die Stufe der 7. bis 9. Jahrgänge anders als andere Schulen in Münster. Mehrere Wochen im Schuljahr findet kein üblicher Unterricht statt. Schüler/innen lernen zu handeln, sie tun etwas. Jede/r Schüler/in bekommt in jedem Jahr drei Mal die Gelegenheit zu einer anderen Form des Arbeitens:
Herausforderungen
Ca. 3–4 Wochen
z. B. Theaterwochen, Radtour, Leben in fremder Familie mit Schulbesuch …
Aktivitäten nach Wahl der Schüler/innen, mit schriftlicher Bewerbung und
Begründung. Eine Jury aus Schüler/inne/n, Eltern und Lehrkräften stellt die
Gruppen zusammen.
Wissen und Können unter Beweis stellen
4 Wochen
Freie Forscher Clubs intensiv: alleine oder in Kleingruppe
Arbeiten an selbst gestellten Aufgaben
Selbstreflektion in Logbuch;
Seminararbeit, Präsentation
Berufs- und Sozialpraktika
2–6 Wochen
Arbeitswelt kennen lernen
Diese Stufe ist ganz darauf eingerichtet, dass Jugendliche neben der schulischen Arbeit ein positives realistisches Bild ihrer eigenen Fähigkeiten bekommen und erleben können, nützlich zu sein.
Die Schulabschluss-Stufe
Die Schulabschluss-Stufe 10–13 ist bislang für die Pilotschulen noch nicht vorgesehen – vorerst sollen sie in der 10. Klasse enden. Im Sinne der Chancengleichheit zu anderen Schulformen sollte das geändert werden. Zum besonderen Profil der Pilotschule gehört der Übergang ins Berufsleben. Dazu werden Zukunftskonferenzen stattfinden, die bei Bedarf einen Unterstützerkreis für jede/n Schüler/in aufbauen. Die Schüler/innen werden darin beraten, ihr Profil zu finden und zu entwickeln und den Schulabschluss entsprechend zu gestalten. Sie werden darin unterstützt, die Anforderungen passgenau bestimmen zu können und selbst darüber zu entscheiden, in welcher Form sie welche Leistung erbringen und welchen Schulabschluss sie anstreben.
Auslandsaufenthalt als Schulbesuch, als Berufspraktikum, als besondere Lernaufgabe: 2 Monate
Schulinterne Ausbildung zu/m/r pädagogischen Mitarbeiter/in bzw. zu/m/r
Erzieher/in
Berufs- und Sozialpraktika
Die PRIMUS-Schule Berg Fidel …
… Eine Kinder- und Jugendschule für alle Kinder des Stadtteils
… Eine Schule der Anerkennung unterschiedlicher individueller Entwicklungen
… Eine Schule mit Halt und Verlässlichkeit im sozialen Zusammenhang des gegenseitigen Respekts und des Voneinander-Lernens
… Eine Schule für Schullaufbahnen ohne kulturelle Brüche
… Eine Schule mit je altersgemäßem Angebot zum Lernen und Arbeiten
Viele Jahre lang fuhr ich mit Studierenden nach Berg Fidel. Ich wollte ihnen die Chance bieten, zu sehen, wie auch Kinder, die wenig davon mitbringen, was man familiäres Bildungsbewusstsein nennt, in ihren Entwicklungen voranschreiten. Ihre Möglichkeiten werden respektiert und weitere Entwicklungen herausgefordert. Und es geschieht, was vermutlich überall geschehen könnte, wenn man Kindern gegenüber tritt, ohne sich Bilder von ihnen zu machen und ihnen eine reiche Lernumgebung anbietet: Sie entwickeln Lernintention, fangen an zu arbeiten und werden Persönlichkeiten.
Literatur:
Diehm, I. und Scholz, G. (1999): Vom Lernen der Kinder – ein Paradigmenwechsel in Kindergarten und Schule. In: R.Laging (Hrsg.): Altersgemischtes Lernen in der Schule. Baltmannsweiler,39–53.
Heitmeyer, W.: Rohe Bürgerlichkeit. Bedrohungen des inneren Friedens.In: Wissenschaft & Frieden 2012-2: Hohe See, 39–41. Online unter: http://wissenschaft-undfrieden.de/seite.php?artikeIlD=1786
Münch,R.(2009):Globale Eliten, lokale Autoritäten – Bildung und Wissenschaft unter dem Regime von PISA, McKinsey Co. Frankfurt a. M.
1 bei der Planung des Vorhabens standen verschiedene Modellschulen pate: die Gesamtschule Winterhude, die evangelische Gesamtschule Berlin Mitte und die Laborschule Bielefeld.
Brigitte Schumann
n der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) werden beide Begriffe, Inklusion und Chancengleichheit, eng aufeinander bezogen. Die Konvention geht davon aus, dass nur in einem inklusiven Bildungssystem auf allen Ebenen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung „ohne Diskriminierung und auf der Basis von Chancengleichheit“‚ verwirklicht werden kann. Das deutsche Bildungssystem mit seiner besonders stark ausgeprägten Selektivität liefert tagtäglich den Beweis dafür, dass diese Aussage richtig ist und angesichts der hohen Zahl der „Bildungsverlierer“ nicht nur für Menschen mit Behinderungen gilt. Gute Schulen, in denen alle Kinder in ihrer Unterschiedlichkeit willkommen sind und individuell und gemeinsam lernen, beweisen hingegen, dass Inklusion der Weg ist zur Überwindung von Diskriminierung und Bildungsarmut, zu besserer Qualität des Lernens und zu besseren Leistungsergebnissen für alle.
Die Bildungschancen in Deutschland sind bis heute extrem ungleich verteilt
und aufs engste vom sozioökonomischen Status der Eltern abhängig.
Dabei ist die Reproduktion von sozialer Ungleichheit strukturell an das hierarchisch
gegliederte, selektive Schulsystem gekoppelt. Kinder werden
durch die frühe Leistungsselektion und Verteilung auf unterschiedlich anspruchsvolle
Schulformen kategorisiert, hierarchisier;t und sozial segregiert.
An die Stelle der Erfahrung von Zugehörigkeit und von gleichberechtigter
sozialer Teilhabe tritt für viele die Beschämung. Dabei ist erwiesen, dass
gen au diese Erfahrungen für die Entwicklung von Selbstachtung und der
Achtung anderer grundlegend sind (Prengel 2013). Dieser Zusammenhang
zeigt sich deutlich bei Kindern mit disruptivem, aggressivem und gewalttätigem
Verhalten Sie haben in der Regel ein schwaches Selbstwertgefühl, ein
negatives Selbstbild und ein besonders großes Anerkennungs- und Zugehörigkeitsdefizit.
Prof. Joachim Bauer (2011) kann aus neurobiologischer Sicht
erklären, dass Menschen mit solchen Merkmalen schneller als andere bei
erlebten sozialen Zurückweisungen oder Ausgrenzungen an ihre „Schmerzgrenze“
stoßen und zur Abwehr des körperlich empfundenen Schmerzes mit
Aggression reagieren. Die selektierende Schule wird besonders von den
Kindern als feindselig erlebt, die sich durch permanente Leistungsvergleiche
abgewertet sehen und die Rolle des Versagers zugeschrieben bekommen.
Die negativen Aspekte der frühen sozialen Selektion und Segregation auf
die Bildungsverläufe von Kindern und Jugendlichen in Deutschland sind
nicht erst seit den großen PISA Leistungsstudien der OECD bekannt. Das
Thema hat die bildungspolitischen Auseinandersetzungen in den 1960er und
70er Jahren geprägt. Der Deutsche Bildungsrat empfahl 1969 als Antwort
auf die fehlende Chancengleichheit und den wachsenden Bedarf an qualifi
zierten Fachkräften für eine demokratische Industriegesellschaft einen
Schulversuch zur Einführung der integrierten Gesamtschule. Obwohl dieser
erfolgreich war, wurde das neue Schulmodell nur in einigen SPD geführten
Bundesländern gegen den Widerstand konservativer Kräfte mit dem Argument
eingeführt, dass auch Arbeiterkinder gleiche Chancen auf höherwertige
Abschlüsse bekommen sollten. Dies geschah allerdings halbherzig, indem
die Gesamtschule lediglich als ergänzende statt ersetzende Schulform
der Sek. I und II im Anschluss an die frühe Selektion nach einer nur vierjährigen
Grundschulzeit in ein weiterhin selektives Schulsystem implantiert
wurde.
Mit der Bildungsexpansion – die nicht zuletzt der Gesamtschule zu verdanken ist – wurde die soziale Ungleichheit der Bildungschancen in der Nachfolgezeit als gesellschaftliches Problem erfolgreich verdrängt und von der Politik verschwiegen. Die „Gerechtigkeitslücke“ rückte erst mit dem so genannten PISA Schock wieder in das Schlaglicht der Öffentlichkeit. Auch der Neoliberalismus der letzten Jahrzehnte trug wesentlich dazu bei, den meritokratischen Mythos zu nähren, wonach der Bildungserfolg allein von dem Bildungswillen und der Bildungsfähigkeit des Individuums abhängt - unabhängig von seinen Lebensverhältnissen. Politik, Wirtschaft und Medien haben so nachhaltig die neoliberale Transformation der Gesellschaft betrieben, dass soziale Probleme im öffentlichen Bewusstsein tendenziell nicht auf ihre eigentlichen gesellschaftlichen Ursachen zurückgeführt werden. Sie werden individualisiert und den Betroffenen unmittelbar als schuldhaftes Versagen oder Charakterfehler angelastet. Sozialwissenschaftier können nachweisen, dass Menschen, die als leistungsschwach gelten, wenig Chancen zur Gegenwehr haben und immer häufiger die negative Fremdzuschreibung übernehmen (Kronauer 2002, Solga 2005).
Die Ergebnisse der Langzeitstudie von Wilhelm Heitmeyer (2010), veröffentlicht unter dem Titel „Deutsche Zustände“, belegen auf eine erschreckend eindeutige Weise, dass gerade die privilegierten Einkommensgruppen unserer Gesellschaft inzwischen eine Tendenz zu „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ entwickelt haben, Sie verweigern beispielsweise Obdachlosen, Langzeitarbeitslosen, Beziehern von Sozialgeld und anderen gesellschaftlich benachteiligten Gruppen ihre Hilfe und wenden anstelle des Solidarprinzips das Selbstverschuldungsprinzip an. Jugendliche, die heute ohne Bildungsabschluss die Schule verlassen und keinen beruflichen Abschluss erwerben, müssen mit sozialer Ausgrenzung und Stigmatisierung rechnen (Solga 2005).
Als Antwort auf die unübersehbare Krise der Hauptschule entscheiden
sich inzwischen immer mehr Bundesländer für eine Form der Zweigliedrigkeit,
mit der aber das Grundproblem der sozialen Selektivität nicht aufgehoben
und auch Inklusion nicht zu verwirklichen ist. Dennoch hat die Kultusministerkonferenz
mit ihren Beschlüssen deutlich gemacht, dass die Schulstrukturfrage
sich im Zusammenhang mit der UN-BRK nicht stellt, und einer
Schule für Alle sowie der Abschaffung des Sonderschulsystems eine deutliche
Absage erteilt. Typisch für maßgebliche Teile der empirischen Bildungsforschung
unserer Zeit ist, dass sie sich an die Bildungspolitik anpasst und
zu der menschenrechtsverletzenden schulischen Selektion und Segregation
schweigt, die Kinder aus den untersten sozialen Schichten und Kinder mit
Behinderungen ganz besonders hart betrifft.
Es ist jedoch vielfach wissenschaftlich nachgewiesen worden (Begemann
1970, Wocken 2007, Eckhart/Haeberlin 2011), dass die extreme Bildungsbenachteiligung
von Kindern in prekären Lebenslagen über die Organisation
institutionalisierter Bildungsprozesse systemisch angelegt ist. Van Essen hat
aktuell in seiner Buchveröffentlichung (2013) die Wirksamkeit der Benachteiligungsmechanismen
und -prozesse mit der Theorie von Pierre Bourdieu
anschaulich erklärt und deutlich gemacht, dass das selektive Bildungssystem
als Verteidigung von Privilegien durch die privilegierten Gesellschaftsschichten
verstanden werden muss.
Spätestens seitdem das Gymnasium zum Marktführer unter den weiterführenden Schulformen in Deutschland geworden ist, sehen sich die Grundschulen als reine „Durchgangsschulen“ und „Zubringer“ zum Gymnasium für eine bestimmte und bestimmende Elternschaft entwertet. Die Qualität der Grundschule nur daran zu messen, wie gut sie die Kinder für das Gymnasium fit macht, konterkariert die Verwirklichung einer kindgerechten Grundschulpädagogik.
Die schädlichen Folgen des schulischen Leistungsdrucks, gepaart mit
hohen familiären Leistungserwartungen, zeigen sich in den überfüllten Praxen
von Kinderärzten, Psychologen und Beratungsstellen. Sie diagnostizieren
eine permanente Überforderung bei vielen Kindern an unterschiedlichen
Symptomen bis hin zu Depressionen. Dies geht auch aus der KiGGS Studie
zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (2006) hervor,
die als Basiserhebung von 2003–2006 vom Robert Koch-Institut erhoben
wurde. Hohe Belastungen mit psychischen Auffälligkeiten sind besonders
mit niedrigem sozioökonomischem Status assoziiert. Kinder aus der Unterschicht
bzw. in Armutslagen ohne die entsprechende soziale und kulturelle
Ressourcenausstattung ihrer Elternhäuser werden schon in der Grundschule
erfolglos abgehängt und in ihrem Lernen entmutigt. Wen wundert es, dass
Kinder in benachteiligten Lebenslagen – wie die Kinderstudie von World
Vision (2007) festgestellt hat – ein eher pessimistisches Selbstbild entwickeln,
das wiederum negativ auf ihre Leistungsentwicklung und ihr Wohlbefinden
zurückwirkt. Das sozial selektive Schulsystem erzeugt permanent ein
soziale Hierarchisierung und Konkurrenz in den Lerngruppen. Wie sollen
Kinder, die das Etikett des Versagers bekommen, Leistungsmotivation und
Lernfreude entwickeln und sich in der Gruppe der Gleichaltrigen akzeptiert
und aufgehoben fühlen?
Dem dringenden Handlungsbedarf, die Landesverfassung und die Schulgesetze
mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen aus der Kinderrechtskonvention
und der Behindertenrechtskonvention in Einklang zu bringen, ist die
seit 2010 amtierende rot-grüne Landesregierung nicht nachgekommen. Diese
Konventionsverpflichtungen stehen in einem unauflöslichen Widerspruch zu dem selektiven Schulsystem und erfordern die Einleitung eines gezielten
Entwicklungsprozesses zu einer inklusiven Schule für Alle. Stattdessen wurde
als Folge des Schulkonsenses zwischen SPD, CDU und den Grünen in
die Landesverfassung eingefügt, dass das Land „in allen Landesteilen ein
ausreichendes und vielfältiges öffentliches Bildungs- und Schulwesen, das
ein gegliedertes Schulsystem, integrierte Schulformen sowie weitere andere
Schulformen umfasst“, garantiert. Langfristig wird sich auch in NRW eine
Zweigliedrigkeit herausbilden. Kurz- und mittelfristig wird es einen „bunten
Flickenteppich“ aus unterschiedlichen Bildungsangeboten für unterschiedliche
regionale Bildungslandschaften geben.
Der Schulkonsens mit der CDU, der auch gerne in der Diktion des Schulministeriums als „Schulfrieden“ sprachlich überhöht wird, gibt den Kommunen größeren Gestaltungsspielraum. Hauptschulen müssen nicht länger als Restschulen vorgehalten werden, die Schulträger können sie mit Realschulen als Sekundarschulen zusammenfassen. Das Schulministerium rühmt sich seiner „Ermöglichungspolitik“. Was in der Praxis heißt, dass es keine Verantwortung und Steuerung für die landesweite Schulentwicklung übernimmt, sondern diese „nach unten“ abgibt.
Besonders unverantwortlich ist, dass auch die Förderschulen mit den
Förderschwerpunkten Lernen, Emotionale und soziale Entwicklung sowie
Sprache (LES) fortbestehen sollen. Sie sind nachweislich „Schulen für Arme“,
die ihre Schüler/innen so bildungsarm und chancenlos entlassen, wie
sie sie aufgenommen haben, und als solche nicht mehr legitimierbar (Schumann
2007, Schnell 2011, Klemm/Preuss-Lausitz 2011). Die Landesregierung
will den Fortbestand dieser Schulen dem Elternwillen und der kommunalen
Planung überlassen. Gleichzeitig spekuliert das Schulministerium
unverhohlen darauf, dass die Förderschulen LES unter die Mindestgrößenverordnung fallen und kurz- bis mittelfristig auslaufen werden. Auch hier
weigert sich die Landespolitik, bildungspolitische Verantwortung durch klare
politische Vorgaben zu übernehmen, und überlässt die Entwicklung lieber
anderen.
In der Konsequenz wird durch den Verzicht auf Landessteuerung ein teures,
unsinniges sonderpädagogisches Doppelsystem noch auf unbestimmte
Zeit festgeschrieben. Den Grundschulen werden damit notwendige Mittel für
Prävention und Inklusion vorenthalten. Dieser mutlose Pragmatismus, der
Eltern ein scheindemokratisches Wahlrecht in die Hand gibt, unterläuft den
menschenrechtlichen Inklusionsanspruch. Eine solche Politik sorgt nicht für
Schulfrieden, sondern löst erhebliche Unruhe aus. An das Elternwahlrecht
klammern sich jetzt all diejenigen, die die Förderschule für unverzichtbar
halten. Der Kampf um jeden einzelnen Standort ist im Land ausgebrochen.
Die Ministerpräsidentin des Landes, Hannelore Kraft, wird nicht müde an
jeder Stelle öffentlich zu betonen, dass sie angetreten ist für eine Politik, die
kein Kind zurücklassen will. Zusammen mit der Bertelsmann Stiftung hat sie
das Modellvorhaben „Kein Kind zurücklassen“, kurz auch KeKiz genannt,
offiziell gestartet. Insgesamt nehmen 18 Städte und Kreise daran teil. „Es
werden Präventionsketten aufgebaut, die sich am Lebensweg eines Kindes
orientieren. Eine Kette, die schon in der Zeit der Schwangerschaft beginnt und bis zum erfolgreichen Berufseinstieg reicht. Mit einbezogen werden alle
Ansprechpartner zum Beispiel auch Kitas, die Jugendhilfe, Schulen, aber
auch Ärzte und die Polizei. Alle sollen gemeinsam miteinander arbeiten“, so
das Regierungsprogramm. Es sollen optimal auf Vorbeugung ausgerichtete
Strukturen im ganzen Land entstehen.
Während also die Ministerpräsidentin behauptet, mit einer sozialen Präventionspolitik konsequent gegen die Benachteiligung von armen Kindern in NRW vorgehen zu wollen, schlägt die Schulpolitik des Landes den unverantwortlichen Kurs der Beliebigkeit ein, obwohl dort entscheidende Weichen für die Bildungs- und Lebensverläufe gestellt werden.
In diesem Kontext der politischen Widersprüche und Unvereinbarkeiten,
der mangelnden Koordination und fehlenden Abstimmung, des Mangels an
eindeutiger Richtungsentscheidung und klaren bildungspolitischen Zielvorgaben
ist das Modellvorhaben PRIMUS einzuordnen. Schüler/innen der
PRIMUS-Schule erhalten die Möglichkeit, ohne Selektion und Brüche in
einer individuell angepassten Lernumgebung ohne äußere Leistungsdifferenzierung
ihre Bildungsbiografie von 1–10 zu durchlaufen und alle Abschlüsse
an dieser Schule zu erwerben. Hier kann sich Inklusion mit Chancengleichheit
verbinden. Offeriert wird PRIMUS den Kommunen in einer
limitierten Größenordnung von 15 Schulen. Es ist ein Produkt des so genannten
Schulfriedens und mit der CDU ausgehandelt worden.
Ist das nun ein Lichtblick oder eher ein allzu schwacher Trost für eine Politik,
deren Markenzeichen ansonsten die Beliebigkeit ist? Der Modellversuch
soll u.a. darüber Auskunft geben, ob Bildungsgerechtigkeit und bessere
Lernerfolge für alle so erzielt werden können. Er soll also beweisen, was
längst bewiesen ist. Die Laborschule Bielefeld als staatliche Versuchsschule
des Landes Nordrhein-Westfalen hat seit ihrer Gründung vor vierzig Jahren
praktisch und theoretisch gezeigt, dass gemeinsames und individuell gestaltetes
Lernen von 1–10 mit einem integrierten Vorschuljahr alle Kinder erfolgreich
darin unterstützt, ihre Potentiale als Lernende umfassend zu entwickeln
und für sich und andere Verantwortung zu übernehmen. Als wissenschaftliche
Einrichtung arbeitet sie in enger Kooperation mit der Erziehungswissenschaft
und dokumentiert die Ergebnisse ihrer Arbeit fortlaufend
umfassend in Veröffentlichungen. Seit 1967 sind mehr als 1500 Beiträge zu
Theorie und Praxis der Laborschule erschienen (http://www.unibielefeld
.de/wels/ver%C3%B6ffentlichungen. html).
Eine ausschließlich negative Bewertung verkennt, dass aus Widersprüchen auch positive Entwicklungen entstehen. Die PRIMUS-Schule kann die Leuchtkraft entfalten, die Menschen wiederum Mut macht, für bessere Bildung zu streiten und nicht zu resignieren. PRIMUS kann Überzeugungskraft ausstrahlen und Zweifel an der inklusiven Schule für Alle widerlegen. Nach einem erfolgreichen PRIMUS-Durchgang bekommt die politische Forderung, dass z.B. im ersten Schritt alle integrierten Gesamtschulen mit einer Grundschulstufe verbunden werden, sehr viel mehr Gewicht und ist leichter durchsetzbar. Insofern ist PRIMUS – bildhaft gesprochen – ein „Stachel im Fleisch“ des selektiven Schulsystems. Für Kinder und Jugendliche, die daran partizipieren, ist sie ein echter Gewinn, weil sie der Entwicklung aller Kinder zugutekommt, unabhängig von individuellen Merkmalen wie soziale Herkunft, ethnische Zugehörigkeit, Religion, Sprache, Geschlecht, Fähigkeiten und Behinderung. Die krankmachenden Folgen der frühen Selektion und des damit einhergehenden Leistungsdrucks bleiben den Kindern erspart. Kein Kind wird beschämt. Kein Kind wird zurückgelassen.
Man kann nicht gerade sagen, dass die Kommunen in NRW sich um PRIMUS- Bewerbungen reißen. Im Schulkonsens hatte man sich darauf geeinigt, dass an bis zu 15 Schulen erprobt werden soll, in welcher Weise die Arbeit der Grundschule in die der weiterführenden Schulen einbezogen werden kann. Die erste Modellschule ist 2013/14 in Minden gegründet worden. Vier weitere kommunale Schulträger haben zum Schuljahr 2014/15 PRIMUS Schulen an den Start geschickt. Mehrere Gründe für das relative Desinteresse der kommunalen Schulträger an PRIMUS lassen sich anführen. Das Schulministerium bewirbt den Modellversuch selbst nicht öffentlichkeitswirksam. Das entspricht ganz der Linie der Ermöglichungspolitik, die auch PRIMUS der Beliebigkeit kommunalen Handeins preisgibt. Außerdem verbindet sich das Schulträgerinteresse meistens weniger mit pädagogischen Konzeptionen oder gar Visionen, sondern mehr mit der rein pragmatischen Lösung schulorganisatorischer Probleme vor Ort.
All diese Widrigkeiten sind auch in Münster im Kampf um die PRIMUSSchule
Berg Fidel aufgetreten. Sie konnten nur in einer unglaublichen konzertierten
Aktion mit viel Unterstützung von außen bewältigt werden. Allerdings
konnte der Kampf deshalb so viel Unterstützung finden und daher
erfolgreich sein, weil es die konkrete Vision einer inklusiven Modellschule
von 1–13 gibt. Diese basiert auf der lang erprobten pädagogischen Praxis
der inklusiven Grundschule Berg Fidel in einem benachteiligten Stadtteil in
Münster.
Die Forderung nach einer Schule von 1–13, die die bewährten Prinzipien
seiner Grundschule mit Inklusion, Teamarbeit, jahrgangsübergreifendem
Lernen, gebundenem Ganztag fortsetzt und weiterentwickelt, hatte Reinhard
Stähling, Schulleiter der Grundschule Berg Fidel, in seinem Buch „Du gehörst
zu uns“ schon 2006 erhoben. Als er zusammen mit seinem Schulleiterkollegen
Karlheinz Neubert von der Geistschule auf einer GEW- Veranstaltung
2010 in Münster sein Schulkonzept öffentlich machte, fanden sich
spontan Unterstützer/innen. Es entstand die Münsteraner Elterninitiative
BildungsBurnout (http://www.bildungsburnout.de/4.html). Sie suchte sehr
schnell den politischen Kontakt zu der neuen Schulministerin Sylvia Löhrmann
und machte diese mit dem Schulkonzept vertraut. Es darf vermutet
werden, dass auf diese Weise Berg Fidel zur Blaupause für den PRIMUSModellversuch
des Schulministeriums wurde.
Mit PRIMUS war für Berg Fidel der Weg für die Realisierung der Vision vorgezeichnet.
Da galt es, einerseits die Eckpunkte des Ministeriums zu erfüllen
und – noch wichtiger – die Zustimmung des Schulträgers einzuholen. Genau
dies sollte das Problem werden trotz der unzähligen Vorzüge des Konzepts.
Schließlich kann es für sich beanspruchen, die Bildungssituation im Stadtteil
mit einem hohen Anteil von Kindern in prekären Lebenslagen zu verbessern,
innovative inklusive Konzepte in der Sekundarstufe I und 11 zu entwickeln
und ein inklusives Praxisfeld für Lehramtsstudierende in Münster mit der
zweitgrößten Universität für Lehrerbildung in NRW zu bieten.
Die Grünen im Rat der Stadt Münster konnten erst im Sommer 2012
durchsetzen, dass die Verwaltung den Auftrag bekam, die Voraussetzungen
für die Teilnahme von Berg Fidel am PRIMUS-Modellversuch zu prüfen.
Damit wurde politisch zunächst einmal nur sichergestellt, dass Politik und
Verwaltung sich mit dem Konzept offiziell befassen mussten. Der Ausgang
war alles andere als sicher.
In diese Situation der politischen Ungewissheit fielen drei Ereignisse, die ausschlaggebend werden sollten für den positiven Ausgang: Der Dokumentarfilm „Berg Fidel – Eine Schule für Alle“ von Hella Wenders machte die Schule und damit auch das Projekt ab 2011 und besonders ab 2012 in der ganzen Republik bekannt. Inzwischen haben fast 40000 Kinozuschauer/ innen diesen Dokumentarfilm gesehen. Der Film erhielt viele Preise und löste eine enorme Nachfrage nach Hospitationen und Informationen über die inklusive Praxis der Schule Berg Fidel aus. Zeitgleich erschien das gemeinsame Praxisbuch über die Arbeit der Grundschule mit dem Titel „Das können wir hier nicht leisten“ von Reinhard Stähling und der Berg Fideler Sonderpädagogin Barbara Wenders. Es gewährte Einblicke in und Reflexion über den inklusiven Unterricht der Grundschule Berg Fidel und veröffentlichte erstmalig das Konzept einer Schule für Alle von 1–13. Und obendrein stemmte die Grundschule Berg Fidel zusammen mit der Elterninitiative im November 2012 den Praxiskongress, auf dem mehr als 400 Teilnehmer/ innen – darunter zahlreiche ausgewiesene Wissenschaftler/innen und Schulpraktiker/innen – sich unter verschiedenen Fragestellungen konkret mit dem inklusiven Konzept 1–13 auseinandersetzten. Der Kongress fand im Gebäude der Geistschule statt, das in Zukunft als PRIMUS-Schulgebäude den Standort für die Schüler/innen ab Jahrgang 4 bilden soll. Auch der Bundesbeauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Hubert Hüppe, gehörte zu den Unterstützern. Der Kongress forderte den Schulträger in einer Resolution auf, Grünes Licht für die Teilnahme von Berg Fidel am PRIMUS-Modellversuch zu geben. Er wurde somit zum Gründungskongress für die PRIMUS-Schule.
Mit Erleichterung wurde der Ratsbeschluss im Frühjahr 2013 aufgenommen. Eine Mehrheit aus SPD, CDU und den Grünen stimmte nach langen kommunalpolitischen Auseinandersetzungen der Teilnahme am Modellversuch zu, nur die FDP votierte dagegen. Seitdem mussten Schritt für Schritt die Hürden genommen werden, nämlich die vom Schulministerium auferlegten Anmeldezahlen für die Teilnahmegenehmigung und danach für die konkrete Errichtung.
Das inklusive Konzept von Berg Fidel sieht vor, auch die Oberstufe in die
Durchgängigkeit einzubeziehen und inklusiv zu gestalten. Der Schulträger
hat sich nachdrücklich gegen eine eigene Oberstufe für die PRIMUS-Schule
ausgesprochen, obgleich das Schulministerium daran Interesse geäußert
hat. Die Zukunft der Oberstufe ist zwar noch ungeklärt, aber alles ist möglich.
Das zeigt der bisherige Kampf um Berg Fidel. Auch die bildungspolitische
Zukunft nach dem Ende des Modellversuchs ist offen. Aber ob es dann
möglich wird, eine tiefgreifende Schulstrukturreform in NRW durchzusetzen
und in die Fläche zu bringen, kann angesichts der bisherigen politischen
Verweigerung, bildungspolitische Erkenntnisse in demokratietaugliches
Handeln umzusetzen, nicht einfach beantwortet werden. Eines können wir
am Beispiel von Berg Fidel jedoch mit Sicherheit sagen: Ohne den Einsatz
und die demokratische Mitwirkung zivilgesellschaftlicher Kräfte wird es nicht
gehen.
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