Das können wir hier nicht leisten

„Das können wir hier nicht leisten“
Wie Grundschulen doch die Inklusion schaffen können

Reinhard Stähling / Barbara Wenders (2015):
Mit Fotos von Donata Wenders,
Baltmannsweiler (Schneider Verlag Hohengeren,
Basiswissen Grundschule Bd. 33) 2015, 230 S.,
ISBN 978-3834015310, € 19,80

Astrid Kaiser

„Das können wir hier nicht leisten“

Der Titel dieses Buches ist gleichzeitig Programm: Es gibt kein Patentrezept für Inklusion. Inklusion verlangt immer wieder die gemeinsame Lösung von komplexen Bildungsaufgaben. Das Team ist dabei der Schlüssel, um Inklusion in die Tat umzusetzen, denn die Lösungen von pädagogischen Anforderungen in heterogenen Lernsituationen müssen immer wieder vor Ort und situativ gemeinsam im Team gefunden werden. Eine Lehrperson allein kann es nicht schaffen. Und im inklusiven Unterricht sollten auch mehrere Fachkräfte zusammen arbeiten, wenn Inklusion nicht zur Farce degenerieren soll.

In diesem Buch des Erfolgsautorenpaares Stähling/Wenders wird die Arbeit an deren Schule jetzt auf der Seite der Teamarbeit in den Klassen und den Lernmöglichkeiten für Kinder beleuchtet. Es geht darum, wie die verschiedenen pädagogischen Fachkräfte zum Wohle der Kinder zusammen arbeiten können. Dabei steht die Sonnenblumen-Klasse exemplarisch im Mittelpunkt, in der Kinder vom Etikett „geistig behindert“ bis „hoch begabt“ zusammen lernen und voneinander lernen sollen.

In sehr klar beschriebenen Alltagssituationen wird deutlich, dass es sich in diesem Buch nicht um Propaganda hehrer pädagogischer Ziele handelt, sondern um gelebte pädagogische Realität. Diese ist so klar und anschaulich beschrieben, dass jede Lehrperson merkt, dass so etwas auch in der eigenen Schule möglich wäre. Aber es wird auch klar beschrieben, wie die Absprachen im Team laufen müssen, wie die Mittagessenfrage unter Einbezug der Kinder gelöst werden kann etc.

Gerade die Verbindung von praktischen Beispielen und theoretischer Reflexion macht eine besondere Stärke dieses Buches aus.

Es werden aber auch viele pädagogische Fragen kritisch-konstruktiv diskutiert. Dabei werden einige Vorurteile zur Inklusion kritisch unter die Lupe genommen. So wird gemeinhin angenommen, es müsse vor allem individualisiert werden, damit Inklusion gelingt. Die Autoren vertreten dagegen eher das Modell der sozialen Verantwortung. Besonders beeindruckend ist die kritische Analyse von Individualisierung, die sie mit Verweis auf Gaudigs Gruppenarbeitskonzept auch historisch fundieren.

Dieses Buch ist so vielschichtig wie die Inklusion. Es wird nicht nur die Praxis an der Schule der beiden Autoren geschildert und reflektiert, sondern letztlich auch ein lerntheoretisches Konzept vorgestellt. Die eigenen Ansätze, die Kinder zum Lernen zu motivieren, passen zu den in der empirischen Forschung beschriebenen Ansätzen wie dem „aktiv sorgenden Engagement“. Allerdings sind die Beschreibungen im Buch deutlich anschaulicher und authentischer als die bloßen Begriffe in der Forschungsliteratur. Man könnte auch sagen, dieses Buch ist eine Weiterführung und Konkretisierung der von Hattie und anderen veröffentlichten lerntheoretischen Untersuchungen.

Dieses Buch ist sehr authentisch geschrieben.

Hier wird nicht wie in Schulinspektionsberichten nach großen Floskeln und Selbstbeweihräucherung gesucht. Vielmehr wird aus der Praxis berichtet und gleichzeitig reflektiert. Junge Lehrpersonen in der Ausbildung können viele Erkenntnisse gewinnen, wie inklusives Lernen gelingen kann, erfahrene Lehrerinnen und Lehrer können an den konkreten Erfahrungsberichten sehen, dass sie selber nur noch wenige Schritte weiter gehen müssen, um am Ziel einer inklusiven Schule anzukommen.  

Besonders faszinierend ist das Buch durch die lebendigen Beschreibungen der Kinder und das ehrliche Offenlegen von Gedanken der Lehrpersonen. Neben der Anschaulichkeit wird aber auch die Reflexivität der Lesenden angeregt.

Dies beginnt schon mit den Brecht-Zitaten am Anfang der Kapitel. Hier wird bereits symbolisch das Nachdenken der Lesenden angeleitet, das später durch die vielen Gedankenverbindungen im Text fortgesetzt wird.

Es ist erstaunlich, wie viele wichtige pädagogische Themen der Inklusion in diesem Buch angeschnitten werden. Exemplarisch sei hier nur die Frage der Notengebung herausgegriffen, die gerade für junge Lehrpersonen eine besondere Hürde im inklusiven Unterricht darstellt. Doch die Autoren wissen konstruktive Lösungsvorschläge und theoretische Brücken zu bauen, wie die Argumentation mit den Kinderrechten zu den Noten 5 und 6.

Dabei wird nicht von oben herab versucht, Lehrpersonen zu belehren, sondern aus der Innensicht einer Schule – besonders in Kapitel IV – dargestellt, welche bürokratischen, und politischen Steine Schulen auf dem Weg zur Inklusion gelegt werden. Hier wird das Buch auch kämpferisch gegen bildungspolitische Sparmodelle zu Lasten der Kinder und der Kräfte der Lehrpersonen. Die häufig verwendeten Begriffe „Energie, Herzblut und Widerstandskraft“ zeigen, dass es in den beschriebenen reformpädagogischen historischen Modellen wie auch heute ganz wesentlich auf die subjektive Kraft von Lehrpersonen ankommt.

Die größte Leistung dieses Buches ist es, dass neben der ausführlichen Beschreibung und Reflexion des untrennbaren Zusammenhangs von Teamarbeit und gelingender Inklusion auch noch eine lerntheoretische Reflexion zum Lernen der Kinder erfolgt. Dazu wird auf viele aktuelle Untersuchungen der Lehr-Lernforschung – insbesondere auf die Hattie-Studie – Bezug genommen. Letztlich ist dieses Buch auch zu einer praxisnahen Weiterfortführung der Erkenntnisse der Hattie-Studie geworden.

Gerade die Beispiele aus der Praxis und die Verbindung zu kurzen theoretischen Hintergründen sind sehr gelungen. So wird deutlich, was machbar ist.

Eigentlich müsste dieses Buch die Bibel der Lehrerfortbildung für Inklusion werden, denn die vielen Praxisanregungen sind für alle Schulen wertvolle Hilfen, die sich mit immer stärker heterogenen Schülergruppen auseinander setzen müssen. Aber auch für die Lehrerbildung ist die klare Beleuchtung von Teamarbeit eine wichtige Basis dafür, Inklusion in die Praxis umzusetzen.

In diesem Sinne wünsche ich dem Buch den Erfolg, den es verdient und vielen Lehrerinnen und Lehrern das Erfahrungswissen der Autoren für bessere Teamarbeit. 


Rezension von Bruno Achermann, Nottwil/Luzern

27.12.2015

Die Zusammenarbeit der Beteiligten ist an inklusiven Schulen von zentraler Bedeutung. Der Schulleiter Reinhard Stähling und die Lehrerin und Sonderpädagogin Barbara Wenders sagen nicht, wie es sein müsste, sie stellen vielmehr in ihrem Praxisbuch überzeugend dar, wie an ihrer Schule Inklusion dank intensiver Teamarbeit gelingt.

Die Autoren des Buches berichten von einem jahrelangen Prozess, der zu zunehmend festen Teams an der PrimuS-Schule Berg Fidel in Münster geführt hat. – Darüber hinaus malen sie – wie schon in vorangehenden Praxisbüchern (2006 und 2012) – lebendige Bilder, wie der Unterricht in heterogenen Gruppen erfolgreich gestaltet werden kann.

Das Buch umfasst vier Teile: In einem ersten Teil beschreibt Stähling Voraussetzungen für einen guten Unterricht und inklusionsfördernde Strukturen. Im zweiten Teil berichtet Wenders aus der Praxis der Teamarbeit, sie beschreibt die Arbeit und die Rollen der Teammitglieder im Unterricht einer sehr heterogenen Klasse und stellt die Teammitglieder vor. Im dritten Teil wird ein origineller Werkzeugkoffer für den Unterricht in extrem heterogenen Gruppen geöffnet und im vierten Teil beschreibt der Schulleiter aus eigener Erfahrung, wie Innovationen behindert werden und wie Inklusion trotzdem gelingen kann.

Wie schon in früheren Praxisbüchern streuen B. Wenders und R. Stähling hervorragend ausgewählte Zitate des grossen polnischen Pädagogen Janusz Korczak und von Bert Brecht in den Text ein. Die Fotos von Donata Wenders erinnern an den Dokumentarfilm „Berg Fidel – Eine Schule für alle“ von Hella Wenders.

Ich nutze das Buch bei der Begleitung von inklusiven Schulen, die ihre Zusammenarbeit verbessern wollen. Teams mit denen ich arbeite sagen, dass auch dieses Buch von Stähling und Wenders gut lesbar, für ihre eigene Praxis hilfreich und für ihr pädagogisches Denken bereichernd sei.