Schweyk im Zweiten Weltkrieg

Münster auf dem Weg zur Kulturhauptstadt 2010. Das Theater in der Kreide unterstützt das KOMMANDO JAN VAN LEYDEN mit dem neuen Theaterstück Schweyk im Zweiten Weltkrieg Das ganze unter dem Motto: Die Wiege des Widerstands steht in Münster.

„Feuer und Flamme für die Kulturhauptstadt-Bewerbung …

Das „Theater in der Kreide“ hatte die Ehre als einzige Theatergruppe Münsters am 20.05.04 auf dem Prinzipalmarkt zu spielen.
Unsere TiK-Ensemble-Mitglieder Norbert Kauschitz und Richard Eich begeisterten Hunderte von Münsteranern und Gästen mit ihrer Feuerkunst.
Als Abordnung des „Kommandos Jan van Leyden“ zeigten sie praktisch, wieso die Wiege des Widerstands in Münster steht. Schweyk lässt grüßen!

DAS LIED VON DER MOLDAU  

m Grunde der Moldau wandern die Steine.
Es liegen drei Kaiser begraben in Prag.
Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.
Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.

Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne
Der Mächtigen kommen am Ende zum Halt.
Und gehen sie einher auch wie blutige Hähne
Es wechseln die Zeiten, da hilft kein Gewalt.

Am Grunde der Moldau wandern die Steine.
Es liegen drei Kaiser begraben in Prag.
Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.
Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag

Texte zu Schweyk im Zweiten Weltkrieg

Ich habe diesen braven Soldaten Schwejk lieb und bin bei der Niederschrift seiner Abenteuer im Weltkrieg überzeugt, dass ihr alle für diesen bescheidenen, verkannten Helden Sympathie empfinden werdet. Er hat nicht den Tempel der Göttin von Ephesus in Brand gesteckt wie jener Dummkopf Herostrates, um in die Zeitungen und Schulbücher zu kommen.
Und das genügt. (Hasek, Vorwort zum Roman Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk, 1923)

Wenn man mich auffordern würde, aus der schönen Literatur unseres Jahrhunderts drei Werke auszuwählen, die meiner Meinung nach der Weltliteratur angehören werden, wählte ich als eines davon Haseks Abenteuer des braven Soldaten Schwejk. (Brecht 1955)

Im Zug den alten Schwejk lesend bin ich wieder überwältigt von diesem riesigen Panorama Haseks, dem echt unpositiven Standpunkt des Volkes darin, das eben das einzig Positive selbst ist und daher zu nichts anderem „positiv“ stehen kann.
Auf keinen Fall darf Schweyk ein listiger hinterfotziger Saboteur werden. Er ist lediglich der Opportunist der winzigen Opportunitäten, die ihm geblieben sind. Er bejaht aufrichtig die bestehende Ordnung, so zerstörend für ihn, soweit er eben ein Ordnungsprinzip bejaht, sogar das nationale, das er nur als Unterdrückung trifft. Seine Weisheit ist umwerfend. Seine Unzerstörbarkeit macht ihn zum unerschöpflichen Objekt des Missbrauchs und zugleich zum Nährboden der Befreiung.
(Brecht, Arbeitsjournal 27.05.1943)



Theaterkritiken

WN 19. April 2004

Er spielt nach eigen Regeln

Die Wirtin (Elisabeth Konnerth) mag noch so skeptisch dreinblicken, Schweyk (Armin Käthner, r.) weiß genau, was er von Hitler zu halten hat. Baloun (Norbert Kauschitz) lauscht kauend. Foto: -abe

Keine Politik. Alles ist hier, aber keine Politik. Anna Kopecka, Wirtin des Wirtshauses „Zum Kelch“, wird nicht müde, es zu sagen. Gäste wie der Hundehändler Schweyk und sein Freund Baloun könnten sie ansonsten Kopf und Kragen kosten. Die beiden, hervorragend auf die Bühne gebracht von Armin Käthner und Norbert Kauschitz, steuern nämlich zielsicher die politischen Fettnäpfchen an, die im Nazi-besetzten Prag zur Lebensbedrohung werden können.
Übertriebene Lobeshymnen auf den Führer, sarkastische Bemerkungen zur Strafmoral der SS-Leute oder ein scheinbar herzhafter Lachkrampf angesichts des Nazi-Terrors – Anna Kopecka (Elisabeth Konnerth), hat ihre liebe Müh, die beiden Passiv-Widerständler vor dem Gestapo-Agenten Brettschneider (Kolja Eicker) zu verbergen.

Ein köstliches Stück aus einer grausamen Zeit. „Schweyk im zweiten Weltkrieg“ wird vom Theater in der Kreide so unbekümmert aufgeführt, dass selbst die militarisierte Atmosphäre und Hitlers Befehle aus dem Radio den Lebenskünstler Schweyk nicht aus der Fassung zu bringen vermögen.

Denn der Hundehändler verzagt nicht, sondern spielt das Spiel nach seinen eigenen Regeln. Er hält es wie sein Lieblingstier, der Hund: „Er schaut den Menschen bei einem Bombardement an, als wolle er sagen: Muss das denn sein?«

Armin Käthner, dem die Rolle des Sorglosen wie auf den Leib geschrieben ist, zeigt so, wie der Mensch trotz äußeren Terrors innerlich Opponent bleiben kann.

 Der Stoff von Brecht ist spannend und zügig inszeniert und lebt auch von den kleinen Details, die das „Theater in der Kreide“ einstreut. Ob, der Pausenbesuch der Protagonisten, Ausflüge ins Publikum, ausgefallene Requisiten oder die von Elisabeth Konnerth grandios vorgetragenen Lieder – das Theater in der Kreide vermittelt nicht nur Hintersinn, sondem unterhält auch fantastisch. Mit seinen Scherzchen erwischt Schweyk die Gäste immer wie er auf dem Humorfuß. Schade für die Truppe um Regisseur Reinhard Stähling, dass viele Münsteraner wohl das erste frühlingshafte Wochenende lieber an der lauen Luft als im Theatersaal verbringen wollten. „Schweyk im zweiten Weltkrieg“ ist am Freitag (30. April) in der Meerwiese in Coerde um 10 Uhr zu sehen. Katentelefon 92 45 96 03), sowieam 14. und 15. Mai in der Kulturschiene im Hauptbahnhof, jeweils um 20 Uhr (WN-Ticket Shop, Telefon 690 593).

 -Andrea Bergmann-


MZ 19. April 2004

Turbulent und undogmatisch

Beim TiK bleiben Schweyk und Brecht heile

Münster · Die Welt kennt ihn – ob er sich Svejk, Schwejk oder Schweyk schreibt. Jaroslav Hàsek kreierte in „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk 1923 einen Helden des Alltags, dem Bertolt Brecht 20 Jahre später die Prüfungen der Nazi-Herrschaf aufbrummte: „Schweyk im Zweiten Weltkrieg“.

Schweyk ist Tscheche, doch beim Theater in der Kreide (TiK) oszilliert sein Zungenschlag ins Nord- und Westdeutsche. Wie eine ungleichmäßige Handschrift kippt Armin Käthners Akzentuierung der Rolle hin und her. Sein Sprechen ist gewöhnungsbedürftig, aber es macht Sinn, indem es den Ursprungstext mit einer universalen volkstümlichen Note versieht.

Schweyk ist überall. Er ist der, Prototyp des Klelnen Mannes: einer, auf den stets die nächste Klemme wartet, und der sich doch immer wieder entwinden kann. Schweyk ist Hundehändler von Beruf, doch von Hause aus der Überlebenskünstler per excelience.

Mit eigenwillig inszenierten Brecht-Stücken hat sich das münstersche Theater in der Kreide einen Namen gemacht. In der Kulturschiene im Hauptbahnhoft honoriert das Publikuin bei der Premiere am Freitag die pfiffigen Ideen und die schauspielerischen Leistungen des Ensembles mil viel Applaus.

Das turbulente, undogmatische Spiel unter der Regie von Reinhard Stähling kommt mit einem Minimum an Bühnenbild und Requisite aus. Umso auffälliger: die Maske. Als stets um das Wohl ihrer Gäste besorgte Wirtin des Gasthauses „Zum Kelch“, Frau Kopecka sind Elisabeth Konnerth die Folgen des Grämens ins Gesicht geschminkt. Später tritt sie auch als die lebenslustige Kati in Aktion, mit rosigem Teint und hochgewölbten Augenbrauen.

 Kolja Eicker gibt gleich sechs Rollen ein Gepräge erfrischender Überzeichnung. Norbert Kauschitz brilliert als Schweyks rühriger, fresssüchtiger Freund Baloon und als kölscher SS-Scharführer Bullinger. Als er Schweyk ins Verhör nimmt und ihm die Beschaffung eines „Spitzbullpudels“ abpresst, schimmert durch das clowneske Spiel das Grauen der Willkürherrschaft. Bullinger und der wie eine Karikatur Hitlers ausstaffierte Gestapo-Agent Brettschneider begegnen als Knallchargen der Macht. Aber sie sind lächerlich und gefährlich zugleich und beherrschen beim TiK sogar die Kunst des Feuerschluckens. Schweyk bleibt unbeschadet und kann triumphieren. Und auch Brecht bleibt heile, zwischen hervorragendem Gesang, groteskem Slapstick und einer Publikumsspeisung mit Naturkost.

 Wolfgang A. Müller


WN 7. Juni 2004

Politisches Theater auf hohem Niveau

„Theater in der Kreide” präsentierte „Schweyk im Zweiten Weltkrieg von Bertolt Brecht
Mit großer Bühnepräsenz gelang den Schauspielern des „Theaters in der Kreide“ eine gelungene Inszenierung des Brechtschen „Schweyk” Foto: -axe-

SENDEN Es war kein Kabarett, was am Samstagabend von dem „Theater in der Kreide“ im Rathaus in Senden geboten wurde, sondern politisches Theater auf hohem Niveau. Der allgemeinen Verflachung zum Trotz, für das Publikum als Labsal, präsentierten die Akteure „Schweyk im zweiten Weltkrieg“ von Bertolt Brecht, das bei der Premiere in Münsters Kulturschiene am Bahnhof von begeistert aufgenommen wurde.

Über 150 Besucher erlebten einen Abend, den sie so schnell nicht vergessen werden. Die bisher fünfte Produktion des „Theater in der Kreide“ stand diesmal unter einem besseren Stern. Waren leider zwei Aufführungen wegen einem Brand in der Kulturschiene ausgefallen, so klappte an diesem Abend alles. Mit der großen Resonanz beim Publikum können die Akteure und Veranstalter rundum zufrieden sein, mit dem Wechsel von der Steverhalle zum Rathaus war ein gutes Gespür für die intimeren Anforderungen dieser Theaterproduktion bewiesen worden. Mit individuellen Brecht-Inszenierungen hat sich die münstersche Theatergruppe längst einen Namen gemacht, am Samstagabend sich fast noch übertroffen.

Denn mit einfachen Mitteln wurde kompromisslos und ohne Scheu vor dem „großen“ Namen ein Schauspiel aufgeführt, das große Anforderungen an die Schauspieler stellt. Und das seit 1998 semi-professionell arbeitende Ensemble um den Regisseur und Schauspieler Reinhard Stähling wurde diesen Anforderungen durchaus gerecht.

1943 bürdete Bertolt Brecht dem aus „Die Abenteuer des braven Soldaten Schweijk“ jedem aus Gymnasialzeiten bekannten kleinen Helden des Alltags die Prüfungen der Nazi-Herrschaft auf. Er schuf ein Zeitbild mit unheimlicher Intensität, das vom „Theater in der Kreide“ spannend und zügig inszeniert wurde, sensibel mit kleinen Details ergänzt. Bilder aus der damaligen Zeit, Filmsequenzen des Krieges, Ausschnitte aus Radioansprachen Hitlers lenkten nicht vom Geschehen auf der nur spärlich mit Requisiten ausgestatteten Bühne ab, sondern ergänzten und schufen einen lebendigen Rahmen. Mit großer Bühnenpräsenz agierten die fünf Protagonisten, teilten sich gleich mehrere Rollen und vollzogen deren Wechsel ohne irgendwelche Brüche. Rein professionell spielten sie, manch anderer Regisseur würde sich solche Intensität und Sensibilität seiner Schauspieler wünschen. Und die Zuschauer in Senden wussten dies zu schätzen, folgten gebannt der Entwicklung auf der Bühne.

Armin Käthner und Norbert Kauschitz verkörperten kompromisslos den Hundehändler Schweyk und seinen Freund Baloun. Lebendig und einfühlsam führten sie in die politischen Fettnäpfchen, hinter dem clownesken Spiel schimmerte jeweils das Grauen der Willkürherrschaft. Der „kleine Mann“ bleibt bei Armin Käthner trotz äußeren Terrors innerlich Opponent. Chargen des Nazi-Terrors erschienen lächerlich und gleichzeitig gefährlich. In dieser Zeit wurde man zum Überlebenskünstler per excelience, ob es nun die auf unpolitische Haltung bedachte Wirtin Kopecka alias Elisabeth Konnerth war – die von ihr exzellent vorgetragenen Lieder begeisterten – oder Astrid Eich als leicht naives Dienstmädchen mit widerstandsgeprägter Sichtweise. Kolja Eicker trat in mehreren Rollen auf, prägte sie mit seiner erfrischenden Überzeichnung. Am Samstagabend schlug Schweyk mit seiner Unbekümmertheit der Welt ein Schnäppchen, führte vor, wie man sich behaupten kann. Für ihre hochwertige Schauspielkunst bekamen die Künstler am Ende viel Applaus, die Veranstalter haben der Kabarettreihe an diesem Abend eine weitere Facette hinzugefügt.

Axel Engels


MZ 15. Juni 2004

Brechts Schwejk und die Nazis

Theater in der Kreide überzeugte
Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk im Dritten Reich bringt das „Theater in der Kreide“ auf die Bühne. 
MZ-Foto: Willner

Münster · Er sei überzeugt, dass wir alle Sympathien für seinen verkannten Helden finden werden, schrieb der tschechische Schriftsteller Jaroslav Hàsek bereits 1923. Und auch Bertolt Brecht zählte die Erlebnisse des Soldaten Schwejk zu der schönsten Weltliteratur überhaupt. Er entwickelte sie zu dem Drama „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“ weiter, das das münstersche „Theater in der Kreide“ (TiK) momentan an mehreren Spielstätten aufführt. 

Auch wenn Wirtin Anna Kopecka (Elisabeth Konnerth) mehrmals lautstark verkündet, „hier ist keine Politik, hier ist ein Wirtshaus“, lässt sich Stammgast Schwejk (Armin Käthner) doch zu doppeldeutigen Aussagen über das missglückte Hitlerattentat hinreißen. Vom Nazispitzel Brettschneider (Kolja Eicker) festgenommen, droht ihm zunächst die Gefangenschaft. Doch mit seiner naiven und tollpatschigen Art einerseits, und durch seine Bauernschläue und Überlebenskunst andererseits, kann er der brenzligen Situation zunächst gerade noch entkommen. 

Mit viel Witz und satirischer Komik erzählt das semiprofessionelle „Theater in der Kreide“ unter Regie von Reinhard Stähling, wie Schwejk durch das Prag des zweiten Weltkriegs stolpert, in ein politisches Fettnäpfchen nach dem anderen tritt und sich meist aus eigener Kraft wieder befreien kann.

Groteske Situationen, etwa wenn Schwejks treuer Freund Baloun (Norbert Kauschitz) sich aus Gier nach einem richtigen Essen freiwillig zur Armee melden will oder wenn Schweik ihm und dem betrunkenen SS-Mann beibringt, adäquat zu salutieren, wechseln sich ab mit beeindruckenden Szenen wie dem großartigen Gesang von Wirtin Anna, die dem Zuschauer den Kriegsalltag wieder vor Augen führen und das Lachen im Halse stecken lassen.

Auch das Publikum wird, ganz Brecht, von Zeit zu Zeit mit einbezogen. Das Ensemble mischt sich während der Pause unter die Gäste oder verteilt einen Blechtopf mit Radieschen, in denen Hakenkreuz-Fähnchen stecken. Dem „Theater in der Kreide“ gelingt trotz geringer finanzieller Ressourcen eine beeindruckende Inszenierung. Und die Schwejk-Schöpfer Hàsek und Brecht sollten Recht behalten: Der sich selbst als „amtlich ausgewiesener Idiot“ bezeichnende Schwejk reißt das Publikum mit und hat schnell die Sympathien auf seiner Seite.

– Katharina Junge
Die nächsten Termine: 25. und 26 Juni um 20 Uhr im Bennohaus.


MZ Burgsteinfurt 22. Juni 2004

Auf leisen Schreckenspfoten

Aufführung des „Theater in der Kreide“ / Brecht-Stück „Schweyk im Zweiten Weltkrieg“
Wie überlebt man schlimme Zeiten? Zum Beispiel, indem man sich amtlicherseits Schwachsinn bescheinigen lässt. So wie der brave Soldat Schweyk, gespielt von Armin Käthner (2.v.r.). Foto: Bödding

BURGSTEiNFURT · „Hier ist keine Politik!“ Draußen tobt der Krieg. Drinnen führt Wirtin Anna Kopecka das Regiment. Klare Fronten im Wirtshaus „Zum Kelch“.Wie überlebt man schlimme Zeiten? Vielleicht init einer gehörigen Portion Opportunismus, doppeldeutigen Bemerkungen und Bauernschläue. Letzteres auf einem Stück Papier eine „amtlich bescheinigte Idiotie“.
Hundehändler Schweyk schlägt sich durch das Prag der NS-Zeit. An seiner Seite Freund Baloun. Bertolt Brecht lässt sie in seinem Stück „Schweyk im Zweiten Weltkrieg“ so manches Abenteuer bestehen. Wie das Treffen mit Gestapo-Agent Brettschneider (tadellos gespielt von Kolja Eicker) in besagtem Wirtshaus.
Spartanisch ist das Bühnenbild. Zwei Tische, Stühle, ein Volksempfänger. Dazu aschfahle Gesichter und dunkel geschminkte Augen. Fertig ist der „kleine Mann von der Straße.“ Ein gefundenes, Fressen für Gestapomann Brettschneider. Der, als krasser Gegensatz, in Gestalt einer rotbäckigen Hitler-Karikatur daherkommt. 

Schlitzohr
Baloun – Norbert Kauschitz spielt ihn (warum eigentlich?) mit einem deplatzierten Hans Moser-Nuscheln – plagt mal wieder der Kohldampf. Vor lauter Hunger will er zur Armee. Der geregelten Mahlzeiten wegen. „Überlege zweimal, bevor du etwas Unüberlegtes tust“, warnt ihn sein Freund Schweyk. Grandios gespielt von Armin Käthner. Er haucht dem Prager Hundehändler genau die Schlitzohrigkeit ein, die man nicht erwartet hätte.

Käthner, der schon beivergangenen Auftritten des Theater in der Kreide (TiK) aus Münster sein schauspielerisches Talent in Steinfurt zeigte, stellt es auch am Samstag erneut eindrucksvoll unter Beweis. Mühelos stemmt er die Hauptrolle. Nimmt sich, wenn es sein muss, zurück, lässt Raum für Interpretationen. Und trägt doch mit Gestik, Mimik und viel Verve den Hauptteil zum Gelingen bei.

Auch wenn er eine Spur zu oft ins westfälische Idiom verfällt. Nicht minder sehens- und vor allem hörenswert agiert Elisabeth Konnerth. Sie spielt resolut die Wirtin Anna Kopecka. Die hohen Lagen stellten Konnerth, die sauber intonierte, gesanglich vor keinerlei Probleme.
Und doch sind es die leiseren Töne, die vom TiK-Auftritt im Arnoldinum zurückbleiben. Es ist diesmal kein auf Krawall gebürstetes Stück (wie bei „Bezahlt wird nicht“ von Dario Fo), sondern eines, das auf leisen Schreckenspfoten daherkommt. Untermalt von einer Dia-Schau mit Bildern aus dem Russland-Feldzug und Zeichnungen von George Grosz und Otto Dix.

Seltsame Radieschen Nicht fehlen darf das TiK-obligate Einbeziehen des Publikums in das Spiel, diesmal in Form einer „Speisung“ aus Blechnäpfen, in denen sich Radieschen befinden. In die man wiederum Zahnstocher mit einer kleinen Hakenkreuzfahne gesteckt hat. Das Grauen isst mit …

Und auch der Aktualität und den österreichischen Rechtsgerichteten zollt Regisseur Reinhard Stähling Tribut. So lässt er Schweyk und Baloun bei der Hitlergruß-Übung nämlich ein zackiges „Haidler“ rufen.

Ein Drittel des Brecht-Stückes hat Stähling gekappt. Zum Beispiel, dass Schweyk Adolf Hitler im Schneegestöber um Stalingrad begegnet. Stähling: „Das wird zu grotesk. Wir wollten ein StückHoffnung lassen.“ So endet die TiK-Aufführung damit, dass zwei Züge einen Bahnhof verlassen. Die Ladung Erntemaschinen geht auf die Reise nach Stalingrad. Die Ladung Maschinengewehre Richtung Bayern. Und, um es mit Schweyk zu sagen: „Wer weiß schon, wo was besser aufgehoben ist?“

Christian Bödding


WN Burgsteinfurt 21. Juni 2004

Die Fettnäpfchen des Schweyk

„Theater in der Kreide“ gastiert: Nur wenige Zuschauer sehen Brecht-Stück
Nicht immer hat sich Schweyk im gleichnamigen Stück unter Kontrolle
Die Wirtin wünscht sich nur eines: Bloß keine Politik. Denn dann ufert die Situation dank Schweyk aus. Foto -ep-

-ep- Burgsteinfurt. Nur wenige Zuschauer kamen zur Aufführung des „Schweyk“ vom „Theater in der Kreide“ (TiK) am Samstagabend. „Das muss mit an der großen Konkurrenz gelegen haben. Ausgerechnet an diesem Abend gab es noch weitere interessante Veranstaltungen und zudem noch die Fußballübertragung im Fernsehen“, erklärte Dr. Reinhard Stähling. Nicht einmal halb gefüllt war die Aula des Arnoldinums.  

Hundehändler Schweyk sitzt am liebsten mit seinem Kumpel Balon, der ständig von Hunger gequält wird, in der Wirtschaft „Zum Kelch“ und trinkt sich ein Bierchen. Wenn ihm nicht sein teilweise zu lockeres Mundwerk im Wege stehen würde, könnte sein Leben so schön sein. Aber zu oft passiert es Schweyk, dass er in Gegenwart von den ernsten SS-Leuten ironische Bemerkungen über den Führer macht und sich damit nur Ärger einheimst. Irgendwie schafft es Schweyk jedoch immer wieder, aus seinen Fettnäpfchen und unbequemen Situationen herauszukommen.

Während sich die Wirtin Anna Kopecka nur eines wünscht – in ihrem Wirtshaus bitte keine Politik – droht die Situation dank Stammgast Schweyk immer wieder zu eskalieren. Da die Laienschauspieler mit ihrer Bühnenpräsenz die ganze Aufmerksamkeit des Publikums auf sich lenken wollten, reichte für das Stück die eher schlichte Kulisse vollkommen aus.

Für das Stück probten die Schauspieler ein ganzes Jahr. Das Theater in der Kreide führte mit „Schweyk“ sein fünftes Stück in Burgsteinfurt auf. „Hier kommen wir immer wieder sehr gerne hin, da das Steinfurter Publikum sehr beliebt bei uns ist. Die Leute sind hier aufgeschlossen und es herrscht eine besonders lockere Atmosphäre“, sagte Stähling abschließend.