Teamarbeit inklusive

Artikel aus Jahrgangsübergreifend unterrichten

In vielen Grundschulen denken Lehrerinnen und Lehrer über die Auflösung von Jahrgangsklassen nach. Da kommt es nicht selten vor, dass man die pädagogischen Vorteile (z. B. die Förderung der „Schwachen“) sieht und sogar die Umsetzung der Altersmischung in Gedanken durchspielt, aber schließlich dennoch davon Abstand nimmt. Die Bedingungen für erfolgreiche Arbeit in einem solch aufwendigen Konzept seien nicht vorhanden. Es fehle vor allem an Förderpersonal.

Es bleibt außer Zweifel: Eine Doppelbesetzung – wenigstens in einem Teil der Unterrichtsstunden – wäre in einer altersgemischten Klasse wünschenswert. Damit ist nicht gemeint, vorhandene Stunden für einen Abteilungsunterricht zu nutzen. Der Einsatz einer zweiten Person im jahrgangsübergreifenden Unterricht dient nicht dazu, die Klasse schließlich doch in Kernfächern nach Jahrgängen getrennt zu unterrichten. Er hat ganz andere Funktionen, die ich im folgenden Beitrag beleuchten möchte.

Der Wunsch nach mehr personeller Unterstützung für die Umstrukturierung von Unterricht und Schule ist verständlich. Reformpädagogisch orientierte Grundschulen werden überlegen, ob sie Doppelbesetzung im jahrgangsübergreifenden Unterricht dadurch erreichen könnten, dass sie den Einsatzplan des Personals umstrukturieren. Ein beträchtlicher Anteil von Grundschulen bildet Praktikanten oder Lehramtsanwärter aus. Einzelne freiwillige Examenskandidaten verbringen im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Arbeit einige Zeit in der „Praxis“. Andere Schulen haben darüber hinaus noch Sozialpädagogen im „Schulkindergarten“-Bereich oder Sonderpädagogen für die integrative Beschulung beschäftigt. In manchen Schulen ist die Hilfe z. B. durch so genannte Lesemütter fester Bestandteil und ein Qualitätsmerkmal. Auch Personal für ganztägige Erziehung steht inzwischen einem Teil der Grundschulen zur Verfügung.

Allerdings: Man könnte in etlichen Grundschulen weit kreativer mit den Potenzialen dieser meist sehr bereitwilligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umgehen. Da gibt es Schulen, an denen mit Hinweis auf irgendwelche Vorschriften nicht alle diese Mitarbeiter an der Lehrer-Konferenz teilnehmen können oder sollen. Andere Schulen übertragen diesen Kräften ohne Abstimmung mit dem Kollegium Aufgaben, die zu Überforderungen der Mitarbeiter führen und somit eher den Schulbetrieb stören. So wird von Praktikanten oder Lehramtsanwärtern teilweise verlangt, dass sie sich selbstständig am grünen Tisch auf eine einzelne Unterrichtsstunde vorbereiten und anschließend ins kalte Wasser des Schulalltags springen. Kaum einer versucht den Sinn solcher „Übungen“ für die Kinder und für die Mitarbeiter der Schule zu hinterfragen. Wo es noch eine Unterwürfigkeit unter selbst definierte und zusammenfantasierte Vorschriften gibt, sollten Grundschulen diese ablegen.

Wo auf Nebenkriegschauplätzen (z. B. Wer darf hier was?) gekämpft wird, geht wertvolle Energie für die Förderung von Kindern und die Qualitätsentwicklung verloren. Oder anders: Es wäre gerade eine Aufgabe der Qualitätsentwicklung, über den für die Kinder sinnvollen Einsatz der vorhandenen Mitarbeiter der Schule nachzudenken. Dann eröffnen sich überraschend neue Quellen für Fördereinsätze. Man wird auch aufmerksam darauf, wo weitere Mitarbeiter gefunden werden könnten. So vermitteln inzwischen selbst Freiwilligen-Agenturen Ehrenamtliche für Schulen. Vieles mehr ist denkbar.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob diese potenziellen Förderkräfte überhaupt Hilfen für den jahrgangsübergreifenden Unterricht sein können, zumal sie ja meist nicht dafür ausgebildet wurden. Gegenfrage: Wer wurde denn überhaupt für den jahrgangsübergreifenden Unterricht ausgebildet? Gibt es in Deutschland ein Prozent Pädagogen, die in altersgemischten Klassen gearbeitet haben und heute noch im Schuldienst stehen? Ich zweifle.

Also haben wir in diesem Feld Pionierarbeit zu leisten, nicht nur im Unterricht, sondern auch unter den Mitarbeitern. Teamarbeit ist das Schlagwort – das allerdings vielfach falsch verstanden wird. Teamarbeit ist ein riesiges, teilweise brachliegendes Potenzial und eine der größten Herausforderungen in der Schulentwicklung, wie ich meine.

Wenn die Mitarbeiter einer Klasse effektiv zusammenarbeiten, entstehen enorme Synergieeffekte. Ist die Zusammenarbeit dagegen nur eine Kombination verschiedener, nicht miteinander vernetzter Aktivitäten von Einzelnen, so wächst bei den Kolleginnen und Kollegen eher der Wunsch, doch lieber alles alleine zu machen.

Um dies zu verdeutlichen, möchte ich im Folgenden zwei gegensätzliche Positionen zum Arbeiten im Team unterscheiden. Diese Darstellung basiert auf meinen Erfahrungen als Schulleiter und Klassenlehrer in einer Brennpunkt-Grundschule, wo so genannte behinderte Kinder (vor allem Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten sowie Lern- und Sprachproblemen) in jeder Klasse zusammen mit allen anderen Kindern unterrichtet werden. Und vor allem: In altersgemischten Klassen lernen hier die Kinder aller vier Jahrgänge gemeinsam.

Teams in der Praxis
Entsprechend der pointierten Gegenüberstellung von Inklusion und Integration versuche ich, auf Grundlage von jahrelangen Beobachtungen in der Praxis (vgl. STÄHLING 2004) zwei Pole von Teamarbeit voneinander abzugrenzen. Dabei unterscheide ich zwischen einer Teamarbeit, bei der die Mitarbeiter gemeinsam für alle Kinder da sind (Inklusion), und einer Teamarbeit, bei der sich einzelne nur für besondere Aufgaben zuständig fühlen (Integration). Indem ich das Inklusionskonzept auf die Teamarbeit übertrage, stellt sich viel deutlicher als zuvor die Frage, welche Faktoren einer Teamarbeit zu effektivem Arbeiten in der Klasse führen (s. Tab).

Team in der Praxis der IntegrationTeam in der Praxis der Inklusion
Personal für Kinder mit besonderem Bedarf:
Die Schule bekommt den Mitarbeiter für klassenübergreifende Aufgaben, z. B. für Förderangebote in verschiedenen Klassen, für einzelne Kinder, für Betreuungsaufgaben u. a.
Personal für das System: Die Schulklasse bekommt den Mitarbeiter, der dadurch Teammitglied ist
Exklusive Zuständigkeit „anderer“ Pädagogen für „andere” KinderGemeinsames und individuelles Lernen für alle
Spezielle Angebote oder Förderungen für spezielle Kinder (z. B. Behinderte, Begabte, Ganztagskinder u. a.)Einbeziehung und Unterstützung der Klassengemeinschaft (z. B. Paten) in die Förderung (z. B. der Schulanfänger)
Förderpläne und Angebote für bestimmte Kinder als Leistung von ExpertenGemeinsame Reflexion und Planung aller Beteiligten (Kinder, Mitarbeiter und im Idealfall auch Eltern)
Vertretung des ausgefallenen Personals kaum möglichIm Vertretungsfall kann ein anderer die Aufgaben, die im Team vereinbart wurden, übernehmen.
Gefahr des Gerangels um Zuständigkeiten
Mitarbeiter als Unterstützung für Kinder mit besonderem Bedarf (Betreuung, Förderung u.a.)Mitarbeiter als Unterstützung für Klassenlehrer, Klasse und Schule
Kombination von unveränderter Schul-, Sonder- und SozialpädagogikSynthese von veränderter Schul-, Sonder- und Sozialpädagogik
Kontrolle durch besser bezahlte ExpertenKollegiales Problemlösen im Team
Supervision als freiwilliges Zusatzangebot für EinzelneSupervision als fester Bestandteil des jeweiligen Teams, Systemberatung
individuumszentrierter Ansatzsystemischer Ansatz

Die Unterscheidung dieser beiden Teamkonzeptionen wirkt vielleicht etwas akademisch, ist aber lohnenswert für die kritische Bestandsaufnahme der eigenen Teamarbeit. Sie ermöglicht die trennscharfe Abgrenzung zweier Pole, die nur scheinbar nahe beieinander liegen, in der Praxisjedoch diametral entgegengesetzt wirken können. HINZ beschreibt überspitzt die Fehlentwicklung eines Integrationsmodells, bei der „ein Sonderlehrer für das Sonderkind ab und zu vorbeikommt und pädagogische Sonderangebote nach Sondercurricula mit Sondermethoden macht“ (Hinz 2002, S. 355).

Es entsteht leicht eine additive Situation, in der die Klasse – zumal eine jahrgangsgemischte – mit ihren gesamten Förderpotenzialen aus dem Blick gerät.

Wenn wir in jahrgangsgemischten Klassen mit Teams nach dem Inklusionsmodell arbeiten, verliert die Kassenlehrerin nicht an Bedeutung. Im Gegenteil: Sie leitet das Team und achtet besonders darauf, dass sich jedes Teammitglied mit seinen besonderen Stärken in den Unterricht einbringen kann. Sie ist jedoch von der Last des Einzelkämpfers befreit.

Gelingt die Teamarbeit, so wollen Lehrerinnen und Lehrer nicht mehr anders arbeiten, selbst wenn die Vergütung bei den Teammitgliedern unterschiedlich ist. Gerade der Unterricht mit seinen vielen Aufgaben wird durch Teamarbeit entlastet. Viele wünschen sich ein solches Team, daher sollten die Mitarbeiter von Grundschulen mit dem Notwendigen beginnen.

Arbeitsstruktur

Für Teams ist eine Arbeitsstruktur erforderlich. Dazu gehören regelmäßige Besprechungen. Die Sitzungen brauchen einen routinemäßigen Ablauf, der für rücksichtsvollen Umgang mit der wertvollen Zeit der Mitarbeiter sorgt. In unserer Schule gibt es in jeder Klasse Teams, die jede Woche ein bis zwei Stunden tagen. Alle haben ihren eigenen Stil entwickelt. Bewährt hat sich bei vielen folgender Teamsitzungsablauf:

  1. Kurze Themensammlung, möglicherweise Festlegung eines Protokollführers, eines Sitzungsleiters, eines „Zeitwächters“.
  2. Kurze Befindlichkeitsrunde: Wie geht es mir im Moment – auch unabhängig vom Schulalltag.
  3. Kurzer positiver Rückblick auf die letzte Woche: Was gefiel mir am Programm, an den Kindern, an uns Teammitgliedern und an mir selbst? (Negatives ist an dieser Stelle nicht erlaubt, das gehört in die Themensammlung!)
  4. Ausführliche Besprechung der Themen aus der Sammlung zu Beginn.
  5. Themen, die nicht besprochen werden konnten, kommen in den „Themenspeicher“, der für das nächste Mal Themen sammelt. Falls etwas sehr Wichtiges nicht ausreichend geklärt werden konnte, wird eine Extra-Sitzung vereinbart oder u. U. die Aufgabe im Einvernehmen an eine Teilgruppe delegiert.
  6. Kurze Abschluss-Blitzlicht-Runde: Was möchte ich noch loswerden? Was möchte ich nicht mit nach Hause nehmen?

Teams, die effektiv arbeiten sollen, können in der Regel nicht ohne regelmäßige Supervision (etwa alle sechs Wochen) auskommen. Sie dient der Psychohygiene der Gruppe und gibt den Teammitgliedern Zeit für ausführliche Auseinandersetzungen über die emotionale Befindlichkeit. Dort können Probleme zwischen Mitarbeitern geklärt werden, die normalerweise überall auftreten. Auch Beanspruchungen durch den Umgang mit „schwierigen Kindern“ sind Thema. Die Leitung der Team-Supervision sollte ein Außenstehender (z. B. Schulpsychologe oder Fortbildungsmoderator) übernehmen.

Ein wichtiger Punkt ist die Auswahl der Teammitglieder. Es ist weder sinnvoll noch möglich, dass sich die Teams selbst ihre Mitglieder suchen. Anzustreben ist allerdings eine zeitliche Stabilität über mehrere Jahre. Bei der Auswahl von Praktikanten, Honorarkräften und anderen freiwilligen Mitarbeitern ergibt sich oft die Möglichkeit, eine Auswahl zwischen verschiedenen Bewerbern zu treffen. Die Entscheidung liegt in diesen Fällen sinnvollerweise beim Team. Der Beschluss sollte einstimmig hergestellt werden, um die Wahrscheinlichkeit von unnötigen späteren emotionalen Schwierigkeiten zu reduzieren.

Zum Abschluss sei auf die Tatsache verwiesen, dass die Art der Zusammenarbeit der Erwachsenen ein Modell für die Kinder ist – ob wir es wollen oder nicht. Wie gehen die Erwachsenen damit um, wenn sie sich nicht einig sind, was zu tun ist? Wie klären sie Konflikte? Haben sie unterschiedliche Meinungen? Darf man miteinander streiten? Respektieren die Erwachsenen einen Mitarbeiter, der Schwächen zeigt? Wann und wo besprechen die Erwachsenen ihre Probleme? Das alles sind Fragen, die die Kinder äußerst spannend finden: Denn sie wollen wissen, wie man es besser macht! Immerhin verlangen die Erwachsenen von den Kindern, gut zusammenzuarbeiten und Konflikte friedlich zu lösen. Hier liegt eine große Chance für altersgemischte Klassen – Teams inklusive.

Literatur
Hinz, Andreas (2002): Von der Integration zur Inklusion – terminologisches Spiel oder konzeptionelle Weiterentwicklung? In: Zeitschrift für Heilpädagogik, 53. Jg./9, S.354–361
Stähling, Reinhard (2004): Multiprofessionelle Teams in altersgemischten Klassen. Ein Konzept für integrativen Unterricht. In: Die Deutsche Schule, 96. Jg./1, S. 45–55