Ich bin das Volk

echts, zwo, drei, vier – Deutschland macht es sich wieder gemütlich im Alltagsrassismus, rechtes Gedanken„gut“ ist salonfähig, und gewalttätig sind sowieso nur junge Ausländer. Höchste Eisenbahn für das Münsteraner „Theater in der Kreide“ (TiK), dem allem einen Franz-Xaver-Kroetz-Abend entgegen zu setzen.„Ich bin das Volk“ hat der Autor von „Kir Royal“ seine Gesellschaftskritik getauft. Und das TiK präsentiert nun mit viel schwarzem Humor diese „Volkstümlichen Szenen aus dem neuen Deutschland“, die der Suhrkamp-Verlag 1994 nicht veröffentlichen wollte.

Das TiK, dessen Erfolgsstück „Leben des Galilei“ von Bertolt Brecht immer noch gebucht wird, kehrt seinem Lieblingsschriftsteller damit keineswegs den Rücken. Ganz im Gegenteil verspricht Regisseur Reinhard Stähling weiter lebhaftes Volkstheater im Brechtschen Sinne, gerade auch in der Kroetz-Inszenierung. In der Tradition des Marktplatztheaters wird das neue Stück auf einer Mittelpunktsbühne gespielt, die Zuschauer bilden einen geschlossenen Ring um das turbulente Geschehen. Zu erwarten ist ein Theaterabend, der herzliche Lacher garantiert, bis sie im Halse stecken bleiben. Entlarvt wird alles, was Recht(s) ist!


Kroetz: Ich bin das Volk

Fotos: Günter Kortmann


WN Seite Münster-Kultur vom 02.06.08

„Theater in der Kreide“registriert einen Rechtsruck

Gesellschaftskritisches Kroetz-Stück hat Premiere im Bennohaus

Münster. Das „Theater in der Kreide“ (TiK) stellt einen Rechtsruck in Deutschland fest: „Rechts, zwo, drei,  vier– Deutschland macht es sich15 Jahre nach den Tod bringenden Brandanschlägen von Solingen wieder gemütlich imAlltagsrassismus. Rechtes Gedanken-.,Gut‘ ist salonfähig. Gewalttätig sind sowieso nur junge Ausländer, und das Feuer von Ludwigshafen bleibt unaufgeklärt“, so die TiK-Analyse. Höchste Eisenbahn für das münsterische Theater, dem allen einen Franz-Xaver-Kroetz-Abend entgegen zu setzen.

Das TiK, dessen Produktion „Leben des Galilei“ von Bertolt Brecht immer noch gebucht wird, kehrt seinem Lieblingsschriftsteller damit keineswegs den Rücken. Ganz im Gegenteil verspricht Regisseur Reinhard Stähling weiter lebhaftes Volkstheater im brechtschem Sinne, gerade sich in der Kroetz-Inszenierung.

In der Tradition des Marktplatztheaters wird das neue Stück auf einer Mittelpunktsbühne gespielt, die Zuschauer bilden einen geschlossenen Ring um das turbulente Geschehen.

Schauspieler Norbert Kauschitz in Aktion. 

Zu erwarten ist ein Theaterabend, der herzliche Lacher garantiert, bis sie im Halse stecken bleiben.„Entlarvt wird alles, was Recht(s) ist“, versichern die Veranstalter.

Premiere feiert „Ich bin das Volk“ am 13. Juni (Freitag) um 19 Uhr im Bennohaus. Dort findet am Samstag, 14. Juni, um 19Uhr auch die zweite Vorstellung statt. Weiterer Termin: 21. Juni. 19 Uhr, Bürgerhaus Kinderhaus.


Westfälische Nachrichten vom 10. 11. 2008

„Es ist so, weil ich es sage“

Makabres Theaterstück über Rassismus: Balanceakt zwischen Belehrung und Ironie

Senden. Unheimliche Orgelmusik erfüllt den Raum. Dann öffnen sich die Türen zum Schauplatz, um den die Zuschauer in Stuhlreihen sitzen. Zwei Polizisten mischen sich unters Publikum und nehmen jeden genau unter die Lupe. So wird bereits zu Beginn des Szenenwerkes „Ich bin das Volk“ von Franz XaverKroetz deutlich, worauf der Theaterabend abzielt. Vorurteile, Rassismus und nationalsozialistisches Gedankengut werden im Verlauf des Stücks zueinander in Bezug gesetzt und schonungslos entlarvt. Auf Einladung der Kunst- und Kulturinitiative Senden (KuKiS) gastierte das Theater in der Kreide mit dem gesellschaftskritischen Stück am Samstagabend in der Friedenskapelle. 

Die mehr oder weniger zueinander passenden Szenen ließen das Publikum häufig stutzen und das Lachen auf den Gesichtern erfrieren. Gerade diese abrupten Wechsel zwischen Heiterkeit und feierlicher Tragik zeigten: Gedacht wird viel, ausgesprochen wenig. Gegen, diesen Grundsatz wendete sich der Abend und bescherte den Zuschauern ein Wechselbad der Gefühle aus emotionaler Nähe und kritischer Distanz. Bei einer Wohnungssuche etwa schätzt sich ein Paar über seine, Nachbarn glücklich: rein deutsche Mieterschaft, „als Vorsichtmaßnahme“. In einer weiteren Szene trifft ein patriotischer Deutscher auf einen Ausländer, der „auch hier zu Hause“ ist, doch der Deutsche verjagt ihn und bekräftigt seine Legitimation durch seine eigene Herkunft. 

Es ist so, weil ich es sage“, ist er sich sicher. Um die Botschaft der Szenen zu verdeutlichen, zeichnete ein Clown als Moderator überspitzt die Problematik des „normalen Hasses“ auf. „Wir sollten uns davor schützen, jedes Feuer als rechtsradikales Treiben zu betrachten.“ Feuer sei immerhin die erste Kulturerrungenschaft der Menschen, bemerkt er spöttisch und sarkastisch mit Lachanfälle und „Schenkelklopfern“ an unpassenden Stellen. Zur praktischen Demonstration wurden die Zuschauer nach draußen gebeten, wo zu einem deutschen Lied Fackeln gehalten wurden und der Clown um die Feuerstelle tanzte. Hatten sich die Zuschauer anschließend auf eine unschuldige Szene gefreut, so wurden sie enttäuscht, denn der scheinbar harmlose Musikunterricht in der Schule, verwandelte sich schlagartig zu einer Gerichtsanhörung. 

Schüler übernahmen die Rolle der Richter. Und in der eintretenden Totenstille zog der Befragte zu jüdischem Gesang ein und berichtete Details aus seiner Zeit in Auschwitz. Schließlich forderte der Clown die Zuschauer sarkastisch auf, ihre positive Grundhaltung zu bewahren. Sie hätten viel gesehen – seien aber auch gesehen worden. Mit schauspielerischen Glanzleistungen, Einfühlungsvermögen und passender akustischer Untermalung fesselten die Darsteller des „Theaters in der Kreide“ ihr Publikum, ohne dabei ein Blatt vor den Mund zunehmen: Gewiss ein Bühnenwerk mit Nachwirkung, das sich auf makabere Weise zu einem Balanceakt zwischen Belehrung und bitterer Ironie entwickelte.

„Theater in der Kreide“ in der Friedenskapelle: Spöttisch und sarkastisch zeichnete der Clown die Problematik des „ganz normalen Hasses“ auf. Foto: -lib-

Lüdinghauser Zeitung vom 3. November 2008

Kroetz hält Menschen den Zerrspiegel vor

-hh- Lüdinghausen. Keine leichte Kost gab es am Samstagabend im Ricordo. Präziser ausgedrückt: Das „Theater in der Kreide“ präsentierte einen Abend lang Szenen rund um das Thema Fremdenfeindlichkeit.In dieser Saison hatte sich das Ensemble aus Münster um Regisseur Reinhard Stähling ganz diesem Schwerpunkt verschrieben.

Zwischen Polit-Kabarett und bayrischem Schwachsinn: das Theater in der Kreide präsentierte im Ricordo „Wir sind das Volk“. Foto: -hh

Mittel zum Zweck war für die acht Schauspieler das Stück „Ich bin das Volk“ von Franz Xaver Kroetz. Vor 15 Jahren ließ sich der Autor vom Brandanschlag in Solingen inspirieren, um scharfzüngig mit der latenten und offenen Xenophobie in Deutschland abzurechnen. Inden kurzen Episoden versuchte Franz Xaver Kroetz, seinen Mitmenschen einen Zerrspiegel vor das Gesicht zu halten, um die Alltagsformen von Fremdenfeindlichkeit, Faschismus und Rassismus kenntlich zu machen.

Wie pointiert ihm dieses gelungen, wie aktuell seine Kritik an der Gesellschaft noch heute ist, zeigten nun die Protagonisten aus der Westfalenmetropole. „Das Ganze spielt irgendwo zwischen politischem Kabarett, poetischem Instinkt und bayrischem Schwachsinn“, beschrieb das Stück schon Peter Zadek seinerzeit in einem Artikel in der FAZ. Am nächsten Samstag (8. November) steht das „Theater in der Kreide“ erneut in der Region auf der Bühne. In der Sendener Friedenskapelle werden sie noch einmal das Werk von Franz Xaver Kroetz mit. Leben füllen (8: November, Beginn: 19 Uhr). Im kommenden Jahr wandeln Reinhard Stähling und seine Mitstreiter wieder auf gewohntem Parkett: Dann wird Bertolt Brecht Pate stehen, wenn Mutter Courage versuchen wird, sich und ihr kleines Unternehmen durch die Wirren des Krieges zu bringen.