Ein übertragbares Modell ganztägiger Erziehung in der Grundschule
Kinder aus 22 Nationen leben im Stadtteil Berg Fidel in Münster. Die Wände der dortigen Grundschule sind bemalt mit bunten Bildern aus vielen Ländern: ein Ergebnis des Projekts „Unsere Schule soll schöner werden“. Ein bisschen staunen aber die Pädagogen selber, dass seit Jahren niemand mehr die Schulwände beschmiert. Die Kinder fühlen sich mit ihrer Schule verbunden. Berg Fidel ist zwar ein sozialer Brennpunkt, aber die Schule ist so etwas wie eine Insel, zu der man täglich übersetzt.
Die internationale Grundschule hat zwei voneinander getrennte Abteilungen: Die Vormittagsschule mit jahrgangsübergreifenden Klassen und die Ganztagsschule. Eltern wählen bei der Schulanmeldung, ob ihr Kind in die Ganztagsklasse oder in eine der Vormittagsklassen geht. Wenn es „im Ganztag” angemeldet wird, gelten für alle Kinder die verbindlichen Schulzeiten von 8.00 bis 15.30 Uhr (freitags bis 13.00 Uhr). Nur montags ist die Teilnahme an den Arbeitsgemeinschaften des Nachmittags für alle Schüler freiwillig. Die AGs werden zum Teil von Sportvereinen, Kirchengemeinden oder dem Jugendzentrum unter Leitung der Schule durchgeführt. „Ganztag statt Betreuung” heißt seit zehn Jahren das Motto. Die Grundschule Berg Fidel hat sich damals bewusst gegen ein Hort- oder Betreuungsmodell entschieden, wo sich Kinder aus verschiedenen Klassen zum Essen oder zur Betreuung treffen und immer wieder auf andere Erwachsene stoßen, deren Regeln nicht mit denen des Vormittags übereinstimmen. Statt dessen bleibt in der Ganztagsschule die Kindergruppe bis 15.30 Uhr zusammen. Und das vier Jahre lang. Verlässlichkeit hat Priorität. Dieses Ganztagsschulmodell war bereits viele Jahre zuvor unter der Leitung von Gertraut Greiling in einem anderen Stadtteil Münsters verwirklicht worden.
Jede Klasse hat zwei feste Räume, für die sie allein zuständig ist. Das erleichtert den Umgang miteinander. Reviere, Regeln und Routinen können so leichter für alle transparent gemacht werden und konsequent eingefordert werden. Die Kinder erleben klare Strukturen innerhalb ihrer Schulzeit. Sie kommen gerne und möchten zum Teil noch viel länger bleiben. Zu lang ist der Schultag für kein Kind, denn Arbeiten und Erholen, Lernen und Spielen wechseln sinnvoll miteinander ab.
Lehrer der vier Ganztagsklassen, die auch die Regelschule gut kennen, haben zeitweise das Gefühl, auf Klassenfahrt zu sein. Nicht nur das gemeinsame Essen im Klassenraum, das Zähneputzen, die Vorlesezeit in der Lesehöhle oder das Hosenwechseln nach dem Waldspaziergang erinnert an solche gemeinsamen Klassenerlebnisse. Allerdings geht hier alles sehr diszipliniert zu. Ein Kind, das z.B. die Regeln des leisen Mittagstisches wiederholt missachtet, muss an einem Tag eben im Flur essen. Ein wenig schimmert hier die Reformpädagogik der zwanziger Jahre auf – natürlich auch mit ihren Schwierigkeiten und Belastungen (vgl. Stähling 2002). Auch die „Mitarbeiter“ erscheinen hier nicht mehr so sehr als „Lehrer“ oder „Student“, sondern auch als Partner und verlässliche Bezugsperson der Kinder. Wenn es Probleme gibt, findet der wöchentliche “Klassenrat” der Kinder (auch eine reformpädagogische Idee) eine Lösung (vgl. Kiper 1997). Eltern begrüßen die vielfältigen Lerngelegenheiten, die das Leben und Lernen in dieser Ganztagsschule bietet.
Im sozialen Brennpunkt in Berg Fidel gibt es jedoch eine wesentliche Besonderheit, die dieser Schule ihr ganz eigenes Profil gibt: Jede der vier Ganztagsklassen wird von einem ständigen pädagogischen Team begleitet. Im Idealfall bleibt das Team während der gesamten Grundschulzeit mit einer Klasse zusammen, damit die Kinder verlässliche Bezugspersonen erleben. In jedem Team arbeiten eine Klassenlehrerin, eine Erzieherin mit halber Stundenzahl und drei Honorarkräfte mit je 8 Wochenstunden. Eltern arbeiten in der Regel aus Zeitgründen nicht mit. Die meisten Honorarkräfte sind Studenten, die zugleich schulpraktische Studien und Praktika ableisten. Jedes Team entscheidet zusammen mit seinen Schülern über alle Fragen. Der rhythmisierte Tages- und Wochenablauf (siehe Schaubild, vgl. Stähling 1995), die Projekte, die Lernmethoden und Unterrichtsinhalte werden in Teamsitzungen geplant und vorbereitet. Auch die Einsatzpläne der Mitarbeiter oder Vertretungsregelungen übernimmt jedes Team völlig selbstständig. Nicht mehr die Einzelkämpferin bestimmt die Grundschularbeit, sondern das Team.
Dieses im sozialen Brennpunkt entwickelte Konzept einer Teamschule steht und fällt mit dem Funktionieren der Teamarbeit. Daher gestaltet jedes Team einmal im Halbjahr eine Klausurtagung zur Koordinierung der Arbeit. Die Schulleitung hat ein großes Vertrauen in die Selbstregulierungskräfte von Teams entwickelt und hält sich aus Konflikten möglichst heraus. Die Beratung und Supervision der Teams wird Psychologen überlassen, die nicht an der Schule arbeiten.
In den Ganztagsklassen sind auch Kinder integriert, die heil- oder sonderpädagogische Förderung brauchen. Einige dieser Kinder müssten, wenn sie in einer Regelschule wären, die Unterstützung der heilpädagogischen Tagesstätten in Anspruch nehmen. Die Kosten für die Kommune lägen dann höher als in einer solchen Ganztagsschule.
Die Stadt Münster finanziert den Hauptanteil, zumal der 20% Ganztagszuschlag des Landes NRW nur täglich eine weitere Stunde über die Regelschule hinaus abdecken kann. Das Geld der Kommune ist sinnvoll investiert, und es wäre zu überlegen, ob nicht weitere pädagogische Fachkräfte (aus den sozialen Diensten oder Freizeiteinrichtungen) in die Arbeit der ganztägigen Teamschule integriert werden können.
Das hier dargestellte Modell ganztägiger Erziehung lässt sich auf andere Städte übertragen. Es ist finanzierbar, wenn kommunale Gelder in die Unterhaltung einer solchen Ganztagsschule im sozialen Brennpunkten umgeschichtet werden.
Literatur:
Kiper, H. 1997: Selbst- und Mitbestimmung in der Schule: Das Beispiel Klassenrat. Baltmannsweiler: Schneider
Stähling, R. 1995: Teamarbeit im Ganztagszweig. In: Burk, K., Teamarbeit in der Grundschule. Frankfurt: Arbeitskreis Grundschule, S. 76-81
Stähling, R. 2002: Unter westfälischen Eichen. Kelkheim: Ilma
Reinhard Stähling, geb. 1956, Dr. paed., Grundschullehrer
Anschrift: Grundschule Berg Fidel, Hogenbergstraße 160, 48153 Münster